Entscheidungsstichwort (Thema)
Überschreitung der Jahresarbeitsverdienstgrenze nach § 165 Abs 5 RVO
Leitsatz (amtlich)
Ein Angestellter, der im Laufe eines Jahres infolge einer Gehaltserhöhung die Versicherungspflichtgrenze in der Krankenversicherung überschreitet, scheidet schon mit dem Tage des Überschreitens - nicht erst mit dem Ablauf des Kalenderjahres - aus der Versicherungspflicht aus, wenn bereits beim Überschreiten feststeht, daß sein erhöhtes Gehalt auch im folgenden Jahr über der dann maßgebenden Versicherungspflichtgrenze liegen wird. Das gilt jedenfalls in Fällen, in denen die Gehaltserhöhung auf der Einstufung in eine neue Vergütungsgruppe beruht.
Orientierungssatz
§ 165 Abs 5 S 1 RVO kann sich nur auf Versicherte beziehen, bei denen es möglich erscheint, daß sie mit ihrem erhöhten Gehalt vom Beginn des nächsten Kalenderjahres an wiederum unter der dann maßgebenden Jahresarbeitsverdienstgrenze liegen, dh auch im folgenden Jahr versicherungspflichtig bleiben werden.
Normenkette
RVO § 165 Abs 5 Fassung: 1970-12-21
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 21.04.1982; Aktenzeichen L 14 Kr 1/81) |
SG Nürnberg (Entscheidung vom 25.11.1980; Aktenzeichen S 7 Kr 13/78) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darum, ob der Kläger, dessen Gehalt als Angestellter die Krankenversicherungspflichtgrenze im Laufe des Jahres 1977 überschritt, schon mit dem Zeitpunkt des Überschreitens (18. April) oder erst mit dem Ende des Jahres 1977 aus der Versicherungspflicht ausgeschieden ist. Er war seit April 1976 beim Arbeitsamt Wuppertal als Aushilfsangestellter beschäftigt, zunächst aufgrund eines bis Juni 1976 befristeten Arbeitsvertrages, der dann aber bis Ende Dezember 1976 und nochmals bis Ende April 1977 verlängert wurde. Der letzte Verlängerungsvertrag wurde mit Wirkung vom 17. April 1977 vorzeitig aufgelöst, weil der Kläger aufgrund eines neuen, für die Zeit vom 18. April 1977 bis zum 30. Juni 1978 geschlossenen Vertrages eine Beschäftigung als Aushilfsangestellter bei der Hauptstelle der Beigeladenen in Nürnberg antrat. Während er bis dahin ein Gehalt nach der Vergütungsgruppe VI des Manteltarifvertrages der Beigeladenen erhalten hatte, wurde er mit dem Beginn der Beschäftigung in Nürnberg in die Vergütungsgruppe II eingereiht. Seitdem überschritten seine Bezüge die Versicherungspflichtgrenze, vorher hatten sie mit ca 2.200,-- DM unter dieser Grenze (2.550,-- DM im Jahre 1977) gelegen.
Nach Ansicht des Klägers ist er mit dem Tage des Überschreitens der Versicherungspflichtgrenze aus der Krankenversicherungspflicht ausgeschieden, nach Ansicht der Beklagten dagegen erst "mit dem Ablauf des Kalenderjahres des Überschreitens" (§ 165 Abs 5 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung -RVO-). Das Sozialgericht (SG) ist der Ansicht des Klägers beigetreten und hat den angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 30. Juni 1977 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Dezember 1977 aufgehoben und festgestellt, daß der Kläger seit dem 18. April 1977 nicht mehr krankenversicherungspflichtig beschäftigt gewesen ist; außerdem hat es die Beklagte zur Erstattung der entsprechenden Versicherungsbeiträge verurteilt (Urteil vom 25. November 1980). Das Landessozialgericht (LSG) hat dagegen auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen. Es hat zwar entgegen Zweifeln der Beklagten den § 165 Abs 5 Satz 1 RVO dann nicht für anwendbar gehalten, wenn die Überschreitung der Versicherungspflichtgrenze mit einem "Wechsel des Beschäftigungsverhältnisses" verbunden ist, was auch bei einer Weiterbeschäftigung bei demselben Arbeitgeber der Fall sein könne. Beim Kläger, der durchgehend von 1976 bis 1978 bei der Beigeladenen beschäftigt gewesen sei, habe das Beschäftigungsverhältnis jedoch mit dem Übertritt zur Hauptstelle der Beigeladenen am 18. April 1977 nicht gewechselt, sondern sich nur inhaltlich geändert. Da somit § 165 Abs 5 Satz 1 RVO in seinem Fall Anwendung finde, sei er erst Ende 1977 aus der Versicherungspflicht ausgeschieden (Urteil vom 21. April 1982).
Der Kläger wendet sich mit der vom LSG zugelassenen Revision gegen dessen Auffassung, daß sein Beschäftigungsverhältnis über den 17. April 1977 hinaus durchgehend fortbestanden habe; mit dem 18. April 1977 sei vielmehr, wie sich aus den Begleitumständen ergebe, für ihn ein "gänzlich neues Beschäftigungsverhältnis" begründet worden.
Der Kläger beantragt, das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend und beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und sich auch nicht zur Sache geäußert.
Alle Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Entgegen der Ansicht des LSG ist er nicht erst mit dem Ablauf des Jahres 1977, sondern bereits mit dem 18. April 1977 aus der Krankenversicherungspflicht ausgeschieden. § 165 Abs 5 Satz 1 RVO, der bei einem Überschreiten der Jahresarbeitsverdienstgrenze das Ausscheiden aus der Versicherungspflicht bis zum Ende des Kalenderjahres aufschiebt, ist im Fall des Klägers nicht anwendbar.
Dabei läßt der Senat unentschieden, ob die genannte Vorschrift hier schon deswegen nicht anwendbar ist, weil im Beschäftigungsverhältnis des Klägers mit seinem Übertritt zur Hauptstelle der Beigeladenen ein Wechsel in dem Sinne eingetreten ist, daß das bisherige Beschäftigungsverhältnis beendet und ein neues begründet worden ist. Selbst wenn ein solcher Wechsel hier nicht vorgelegen hat, das Beschäftigungsverhältnis des Klägers also über den 17. April 1977 hinaus durchgehend fortbestanden hat, wie das LSG meint, ist § 165 Abs 5 Satz 1 RVO nicht auf den Kläger anzuwenden.
Nach dieser Vorschrift scheidet, wer die Jahresarbeitsverdienstgrenze überschreitet, mit Ablauf des Kalenderjahres des Überschreitens aus der Versicherungspflicht aus; er scheidet jedoch nicht aus, wenn das Entgelt die vom Beginn des nächsten Kalenderjahres an geltende Jahresarbeitsverdienstgrenze nicht übersteigt. Diese Fassung der Vorschrift beruht auf dem Zweiten Krankenversicherungsänderungsgesetz vom 21. Dezember 1970 (BGBl I, 1770) und ist am 1. Januar 1971 in Kraft getreten (Art 1 Nr 2 iVm Art 4 § 5 des genannten Gesetzes). Durch dasselbe Gesetz (Art 1 Nr 1) ist auch § 165 Abs 1 Nr 2 RVO, der die Krankenversicherungspflicht von Angestellten regelt, neu gefaßt worden. Während die Versicherungspflichtgrenze für Angestellte bis dahin - der wirtschaftlichen Entwicklung, insbesondere dem Steigen der Gehälter folgend - in unregelmäßigen und meist längeren zeitlichen Abständen angehoben worden war, ist sie seit 1971 an die - jeweils für ein Kalenderjahr festgesetzte - Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung gekoppelt und beträgt seitdem 75 vH dieser Grenze (vgl die Gesetzesbegründung in BT-Drucks VI/1130 S 4). Damit ist zugleich der früher bei Angestellten häufige Wechsel von Zeiten der Versicherungspflicht und der Versicherungsfreiheit - je größer die zeitlichen Abstände zwischen den einzelnen Anpassungen der Versicherungspflichtgrenze waren, um so mehr Versicherte konnten in der Zwischenzeit vorübergehend, nämlich bis zur nächsten Anpassung, aus der Versicherungspflicht "herauswachsen" - weitgehend ausgeschlossen worden. Nicht erfaßt sind damit allerdings die Fälle, in denen das Gehalt vor einer Gehaltserhöhung knapp unter, nach der Erhöhung knapp über der Versicherungspflichtgrenze liegt und mit der Anpassung zu Beginn des folgenden Jahres wieder unter die Grenze sinkt. In Fällen dieser Art schließt deshalb auch die - seit 1971 geltende - jährliche Anpassung der Versicherungspflichtgrenze nicht aus, daß "im Laufe des Jahres ein Wechsel von der Versicherungspflicht zur Versicherungsfreiheit eintreten kann. Deshalb wird das Ausscheiden aus der Versicherungspflicht erst mit dem Ablauf des Kalenderjahres wirksam" (Begründung für die Neufassung des § 165 Abs 5 RVO, BT-Drucks aaO zu Art 1 Nr 2).
Wie diese Gesetzesbegründung zeigt, hat der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 165 Abs 5 Satz 1 RVO, durch die bei einem Überschreiten der Versicherungspflichtgrenze im Laufe eines Jahres das Ausscheiden aus der Versicherungspflicht auf das Jahresende hinausgeschoben wird, die Kontinuität der Versicherungsverhältnisse von Angestellten sicherstellen wollen; eine lediglich vorübergehende Unterbrechung der Versicherungspflicht - bis zum Inkrafttreten einer neuen Versicherungspflichtgrenze mit dem Beginn des nächsten Kalenderjahres - soll verhindert werden. Ist dies aber der - alleinige - Zweck des § 165 Abs 5 Satz 1 RVO nF, so kann sich die Vorschrift nur auf Versicherte beziehen, bei denen es mindestens möglich erscheint, daß sie mit ihrem erhöhten Gehalt vom Beginn des nächsten Kalenderjahres an wiederum unter der dann maßgebenden Jahresarbeitsverdienstgrenze liegen, dh auch im folgenden Jahr versicherungspflichtig bleiben werden. Nicht anwendbar ist die Vorschrift dagegen nach ihrem Sinngehalt auf Versicherte, bei denen diese Möglichkeit von vornherein ausscheidet, bei denen also schon im Zeitpunkt der Gehaltserhöhung feststeht, daß sie (auch) im nächsten Jahr versicherungsfrei sein werden. Ob dies für Gehaltserhöhungen jeder Art gilt, die während eines laufenden Kalenderjahres wirksam werden, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Es gilt jedenfalls für solche Gehaltserhöhungen, die - wie beim Kläger - mit der Einstufung in eine neue Gehalts- oder Vergütungsgruppe verbunden sind; dabei wird eine solche Neueinstufung in der Regel, wie auch hier, auf einem Wechsel des Arbeitsplatzes und der Arbeitsaufgabe beruhen, mag auch das alte Beschäftigungsverhältnis deswegen nicht beendet und ein neues begründet worden sein. Da im Falle des Klägers sich sein Gehalt mit der Umstufung von der Vergütungsgruppe VI in die Gruppe II am 18. April 1977 so erheblich erhöht hatte, daß von vornherein feststand, daß er mit dem erhöhten Gehalt auch die neue Jahresarbeitsverdienstgrenze für das Jahr 1978 überschreiten würde, wurde sein Ausscheiden aus der Versicherungspflicht nicht nach § 165 Abs 5 Satz 1 RVO bis zum Ende des Jahres 1977 hinausgeschoben, sondern trat sogleich mit dem Tage des Überschreitens (18. April 1977) ein. Das SG hatte somit seiner Klage gegen die anderslautenden Bescheide der Beklagten mit Recht stattgegeben. Auf seine Revision hat der Senat deshalb das Urteil des LSG aufgehoben und das Urteil des SG wiederhergestellt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen