Verfahrensgang
Hessisches LSG (Urteil vom 06.04.1990) |
SG Frankfurt am Main (Urteil vom 25.04.1988) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 6. April 1990 und das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt vom 25. April 1988 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist, ob die beklagte Bundesanstalt für Arbeit (BA) verpflichtet ist, der Klägerin Arbeitslosenhilfe (Alhi) für die Zeit vom 11. Mai bis 23. Oktober 1985 zu gewähren.
Die 1967 geborene Klägerin lebt seit ihrer Kindheit bei ihrer Urgroßmutter, die das Sorgerecht für sie hatte. Der Aufenthaltsort ihres Vaters ist unbekannt; ihre Mutter lebt als französische Staatsangehörige seit längerem in Frankreich und ist dort verheiratet. Nach ihren Angaben arbeitet die Mutter als Putzfrau und hat ein monatliches Einkommen von 1.000,– DM netto. Unterhaltszahlungen hat die Klägerin von ihren Eltern nicht erhalten.
Nach Erschöpfung ihres Anspruchs auf Arbeitslosengeld am 10. Mai 1985 beantragte die Klägerin die Gewährung von Alhi. Die BA lehnte mit Bescheid vom 3. Juli 1985 den Antrag ab, da die Klägerin nicht bedürftig sei. Das anrechenbare Einkommen der Mutter in Höhe von 155,77 DM wöchentlich übersteige den Leistungssatz von 96,– DM wöchentlich.
Im Widerspruchsverfahren machte die Klägerin – die Leistungen des beigeladenen und Erstattung begehrenden Trägers der Jugendhilfe erhalten hatte – geltend, der Unterhaltsanspruch gegen ihre Mutter sei nicht durchsetzbar. Mit Widerspruchsbescheid vom 22. November 1985 wies die BA den Widerspruch für die Zeit bis zum 23. Oktober 1985 zurück. Es komme auch die Gewährung von Alhi gemäß § 140 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) nicht in Betracht, da die Klägerin nicht nachweislich alle Möglichkeiten ausgeschöpft habe, von ihrer Mutter Unterhalt zu erlangen. Da sie am 24. Oktober 1985 volljährig geworden sei, so daß das Einkommen ihrer Mutter nur noch gemäß § 138 Abs 1 Nr 1 AFG zu berücksichtigen sei, der vermutete Unterhaltsbedarf das Einkommen jedoch übersteige, werde ab 24. Oktober 1985 Alhi ungekürzt bewilligt.
Während des Klageverfahrens berechnete die BA mit Bescheid vom 11. März 1986 einen möglichen Alhi-Anspruch ab 11. Mai 1985 neu und kam unter Berücksichtigung eines Freibetrages von 115,– DM wöchentlich zu dem Ergebnis, es seien noch 115,77 DM auf die Alhi anzurechnen, so daß Bedürftigkeit für die noch streitige Zeit ebenfalls nicht vorliege.
Das Sozialgericht (SG) hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die BA verurteilt, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden (Urteil vom 25. April 1988). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der BA zurückgewiesen (Urteil vom 6. April 1990). Es hat sich im Ergebnis der Rechtsauffassung des SG angeschlossen und ausgeführt, zwar komme eine Anwendung des § 140 AFG bei minderjährigen Arbeitslosen, deren Eltern über gemäß § 138 Abs 1 Nr 2 AFG anrechnungsfähiges Einkommen verfügten, grundsätzlich nicht in Betracht. Im Fall der Klägerin sei es dennoch gerechtfertigt, § 140 AFG anzuwenden. Sei ein Arbeitsloser tatsächlich (wenn auch nicht rechtlich) bedürftig, so könne die BA, um Härten zu vermeiden, Alhi gewähren; der Grundsatz der Subsidiarität der Alhi werde in diesem Fall gelockert. Der Schutz der minderjährigen Klägerin, die Gleichbehandlung mit der Gruppe der Ehegatten und der Sinn und Zweck des § 138 Abs 1 Nr 2 AFG erforderten es, die besonderen Verhältnisse der Klägerin zu berücksichtigen.
Mit der zugelassenen Revision rügt die BA eine Verletzung der §§ 138 Abs 1 Nr 2, 140 Abs 1 AFG. Sie macht geltend, die Voraussetzungen für eine Ermessensentscheidung nach § 140 AFG seien nicht gegeben. Für die Einkommensanrechnung nach § 138 Abs 1 Nr 2 AFG komme es auf das Bestehen bzw die Durchsetzbarkeit zugrundeliegender Unterhaltsansprüche nicht an. Die tatsächliche Bedürftigkeit eines Arbeitslosen – auf die das LSG abhebe -rechtfertige keinen Anspruch auf eine Ermessensentscheidung nach § 140 AFG.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Hessischen LSG vom 6. April 1990 und das Urteil des SG Frankfurt vom 25. April 1988 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beigeladene hat sich nicht geäußert.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) einverstanden.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist begründet. Die angefochtenen Bescheide, in denen die BA die Gewährung von Alhi für die Zeit vom 11. Mai bis 23. Oktober 1985 abgelehnt hat, entsprechen der Rechtslage.
Ein Anspruch auf Alhi hat ua zur Voraussetzung, daß der Arbeitslose bedürftig ist (§ 134 Abs 1 Nr 3 AFG). Der Arbeitslose ist bedürftig, soweit er seinen Lebensunterhalt nicht auf andere Weise als durch Alhi bestreitet oder bestreiten kann und das Einkommen, das nach § 138 zu berücksichtigen ist, die Alhi nach § 136 AFG nicht erreicht (§ 137 Abs 1 AFG in der maßgeblichen Fassung von Art 27 des Einführungsgesetzes zum Einkommensteuer Reformgesetz -EGEStRG- vom 21. Dezember 1974 – BGBl I 3656).
Die Klägerin war deshalb nicht bedürftig, weil das nach § 138 Abs 1 Nr 2 AFG anzurechnende Einkommen ihrer Mutter die Alhi nach § 136 AFG erreicht. Nach § 138 Abs 1 Nr 2 1. Halbsatz AFG ist im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung Einkommen des von dem Arbeitslosen nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten und der Eltern eines minderjährigen unverheirateten Arbeitslosen zu berücksichtigen, soweit es den genannten Freibetrag – während der hier streitigen Zeit jeweils 115,– DM in der Woche – übersteigt (§ 242f Abs 11 AFG). Nach den nicht angegriffenen und daher gemäß § 163 SGG bindenden Feststellungen des LSG erzielte die Mutter der Klägerin im streitigen Zeitraum ein monatliches Netto-Einkommen in Höhe von 1.000,– DM. Dies sind wöchentlich 230,77 DM. Nach Abzug eines Freibetrages in Höhe von 115,– DM verbleibt ein wöchentlicher Anrechnungsbetrag in Höhe von 115,77 DM, der die Alhi, die nach den Feststellungen des LSG wöchentlich 96,– DM betragen hat, übersteigt.
Wie bereits das LSG zutreffend ausgeführt hat, erfolgt die Einkommensanrechnung nach § 138 Abs 1 Nr 2 AFG unabhängig vom Bestehen und von der Durchsetzbarkeit zugrundeliegender Unterhaltsansprüche des Arbeitslosen. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung, sondern entspricht auch der Systematik des Gesetzes. Während nach der Grundregel der Nr 1 des § 138 Abs 1 AFG im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung das Einkommen des Arbeitslosen einschließlich der Leistungen, die er von einem Dritten „erhält oder beanspruchen kann” zu berücksichtigen ist, stellt die Nr 2 eine Sonderregelung dar, die die Nr 1 ausschließt, soweit Nr 2 Anwendung findet. Diese Systematik und Zielsetzung des Gesetzes hat bereits der 7. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in seiner Rechtsprechung, der der erkennende Senat nach eigener Prüfung beitritt, eingehend dargestellt (vgl BSG SozR 4100 § 138 Nrn 7, 10 und 12). Wie bei der Berücksichtigung des Vermögens der Eltern nach § 137 Abs 2 AFG trägt § 138 Abs 1 Nr 2 AFG dem gesteigerten Unterhaltsanspruch des minderjährigen unverheirateten Arbeitslosen gegen seine Eltern (§ 1603 Abs 2, § 1609 Bürgerliches Gesetzbuch ≪BGB≫) dadurch Rechnung, daß das Einkommen der Eltern nach Abzug gewisser Freibeträge angerechnet wird, ohne nach der Höhe des Unterhaltsanspruchs im Einzelfall zu fragen; in gleicher pauschaler Weise wird der mögliche Unterhaltsanspruch des Arbeitslosen gegen den nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten herangezogen. Hierbei vermutet der Gesetzgeber, daß dieses Einkommen dem gemeinsamen Verbrauch zugeführt wird, und läßt dem Ehegatten bzw den Eltern lediglich einen festen Freibetrag für den Eigenbedarf. Er will mit der Regelung in diesen Fällen die vielfach recht schwierige Feststellung der Höhe des Unterhaltsanspruchs des Arbeitslosen erleichtern (BSG SozR 4100 § 138 Nrn 7 und 14).
Soweit nach dem Gesetzeswortlaut das Einkommen der Eltern des minderjährigen unverheirateten Arbeitslosen selbst dann berücksichtigt wird, wenn der Arbeitslose von seinen Eltern getrennt lebt, liegt kein Redaktionsversehen vor. Vielmehr ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien, daß der Gesetzgeber die verschärfte Einkommensberücksichtigung auch für den Fall vorgesehen hat, daß „dieser (unverheiratete minderjährige Arbeitslose) von seinen Eltern getrennt lebt” (vgl Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks 8/2624 S 30, Nr 46 unter a).
Für die Anwendung der typisierenden Regelung des § 138 Abs 1 Nr 2 AFG spielt es somit keine Rolle, ob und in welcher Höhe die Eltern des Arbeitslosen tatsächlich zum Unterhalt verpflichtet sind und ihrer Unterhaltspflicht nachkommen. Hierauf hat bereits das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seiner Entscheidung vom 16. Dezember 1958 (BVerfGE 9, 20 f = NJW 1959, 283 f) im Rahmen der verfassungsrechtlichen Überprüfung der Vorgängerregelung des § 150 Abs 1 Nrn 2 und 3 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) hingewiesen und die Gültigkeit dieser typisierenden Regelung bestätigt.
Eine restriktive Anwendung des § 138 Abs 1 Nr 2 AFG, nach der in Fällen vorliegender Art Einkommen der Eltern nur insoweit zu berücksichtigen ist, als eine Unterhaltsverpflichtung besteht, stünde demzufolge im Widerspruch zu der verlautbarten Absicht des Gesetzgebers, der bei unverheirateten minderjährigen Arbeitslosen gerade nicht deren im Einzelfall zu ermittelnde Unterhaltsansprüche gegen die Eltern oder einen Elternteil, sondern unmittelbar das Einkommen der Eltern nach Abzug von Freibeträgen berücksichtigt wissen will. Es kann deshalb auch keine Rolle spielen, daß die Mutter der Klägerin im Ausland lebt, ihr das Sorgerecht entzogen worden ist und sie nach den Feststellungen des LSG tatsächlich keinen Unterhalt an die Klägerin geleistet hat. Selbst wenn es der Klägerin nicht zumutbar gewesen sein sollte, in einem gemeinsamen Haushalt mit ihrer Mutter zu leben, und sich demzufolge der Grundgedanke des § 138 Abs 1 Nr 2 AFG – nämlich das vermutete Wirtschaften aus einem Topf – nicht verwirklicht hat, ist das Einkommen der Mutter nach § 138 Abs 1 Nr 2 AFG anzurechnen.
Entgegen der Rechtsauffassung des LSG kommt bei der Klägerin auch nicht die Gewährung von Alhi nach § 140 AFG in Betracht. Denn die gesetzlichen Voraussetzungen dieser Bestimmung liegen nicht vor.
Nach § 140 Abs 1 Satz 1 kann das Arbeitsamt dem Arbeitslosen, solange und soweit er Leistungen, auf die er einen Anspruch hat, nicht erhält, ohne Rücksicht auf diese Leistungen Alhi gewähren. In diesem Fall hat das Arbeitsamt nach § 140 Abs 1 Satz 2 die Gewährung der Alhi dem Leistungspflichtigen unverzüglich anzuzeigen. Die Anzeige bewirkt, daß die Ansprüche des Arbeitslosen gegen jemanden, der kein Leistungsträger iS von § 12 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch ist, in Höhe der Aufwendungen an Alhi, die infolge der Nichtberücksichtigung der Leistung entstanden sind oder entstehen, auf den Bund übergehen.
§ 140 AFG, der dem früheren § 149 Abs 4 AVAVG entspricht (vgl BT-Drucks V/2291, S 87 zu § 138 ≪nunmehr § 140≫), beruht auf der Erwägung, daß ein Arbeitsloser, der Ansprüche hat, die die Bedürftigkeit ganz oder teilweise ausschließen, die entsprechenden Leistungen aber nicht erhält, nicht in eine Notlage geraten soll. Deshalb wird das Arbeitsamt ermächtigt, dem Arbeitslosen ohne Rücksicht auf diese Leistungen Alhi zu gewähren. Zum Ausgleich dafür gehen aber die Ansprüche des Arbeitslosen gegen einen Dritten gemäß § 140 AFG auf die BA über (vgl BSGE 26, 293, 295; Schelter, Komm zum AFG, § 140 Anm 2; Hennig/Kühl/Heuer, Komm zum AFG, § 140 Anm 1 und 2). Die sogenannte „Gleichwohlgewährung” der Alhi hat also zur Voraussetzung, daß der Arbeitslose Unterhaltsansprüche oder sonstige Leistungsansprüche hat, die nach § 138 Abs 1 Nr 1 AFG anzurechnen wären, aber zunächst nicht zu realisieren sind (vgl BSG aaO). Demgegenüber kommt es – wie oben dargestellt – für die Anwendung des § 138 Abs 1 Nr 2 AFG gerade nicht darauf an, ob und in welcher Höhe der minderjährige Arbeitslose Unterhaltsansprüche gegen seine Eltern hat. Auch wenn der Arbeitslose den hiernach anzurechnenden Betrag nachweislich nicht erhält, kann dieses Ergebnis somit nicht im Wege der Gleichwohlgewährung nach § 140 AFG korrigiert werden.
Der Auffassung des LSG, der Schutz der minderjährigen Klägerin, die Gleichbehandlung mit der Gruppe der Ehegatten sowie Sinn und Zweck des § 138 Abs 1 Nr 2 AFG erforderten eine erweiternde Auslegung des § 140 AFG, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Damit würde die vom Gesetzgeber bewußt bei der Einkommensanrechnung nach § 138 Abs 1 Nr 2 AFG ausgeklammerte Frage, ob Unterhaltsansprüche bestehen und tatsächlich Unterhaltsleistungen der Eltern an den Arbeitslosen geflossen sind, auf dem Weg über eine Anwendung des § 140 AFG zur Prüfung gestellt. Dies widerspräche dem dargestellten Sinn und Zweck der Sonderregelung des § 138 Abs 1 Nr 2 AFG (vgl auch Gemeinschafts-Komm zum AFG, § 140 Anm 3; Hennig/Kühl/Heuer, aaO § 138 Anm 4b).
Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, daß bei der Förderung der beruflichen Bildung in § 40 Abs 3 Satz 1 AFG eine Vorleistung der BA entsprechend § 140 Abs 1 Satz 1 AFG vorgesehen ist, jedoch bei der Bedarfsbestimmung des Auszubildenden dessen Unterhaltsanspruch nicht im einzelnen geprüft wird, sondern – ähnlich der Regelung des § 138 Abs 1 Nr 2 AFG – das Einkommen der Eltern bzw des Ehegatten begrenzt durch bestimmte Freibeträge angerechnet wird (§§ 16, 17 der Anordnung des Verwaltungsrats der BA über die individuelle Förderung der beruflichen Ausbildung vom 31. Oktober 1969, ANBA 1970, 213, in der nunmehr geltenden Fassung der 29. Änderungsanordnung zur A-Ausbildung vom 6. Juli 1990, ANBA 1980, 1142). Die Förderung der beruflichen Bildung hat andere Zielsetzungen als die Leistungen wegen Arbeitslosigkeit (Alg, Alhi). Förderungsrechtlich wird eine Unterhaltsverpflichtung der Eltern als bestehend unterstellt, soweit das Einkommen der Eltern die in der Anordnung näher bezeichneten Freigrenzen überschreitet. Weigern sich die Eltern, Unterhalt zu leisten, weil sie der Auffassung sind, ihre Unterhaltspflicht erfüllt zu haben, bietet § 40 Abs 3 AFG die Möglichkeit, dem Auszubildenden die Förderung als Vorausleistung ohne Berücksichtigung von Unterhaltsmitteln der Eltern zu gewähren, allerdings mit der sich aus der Verweisung auf § 140 Abs 1 Satz 2 bis 4 ergebenden Folge (BSG SozR 4100 § 40 Nrn 18, 26).
Die Regelung des § 138 Abs 1 Nr 2 AFG, nach der minderjährigen unverheirateten Arbeitslosen nicht die tatsächliche Unterhaltsleistung oder der Unterhaltsanspruch, sondern – abgesehen von Freibeträgen – das Einkommen der Eltern angerechnet wird, ist auch nicht verfassungswidrig. Die darin enthaltene Typisierung der Berücksichtigung von Unterhaltsbedürfnissen und Unterhaltsleistungen widerspricht insbesondere nicht dem Gleichbehandlungsgebot des Art 3 Grundgesetz (GG).
Der allgemeine Gleichheitssatz wird verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl BVerfGE 55, 72, 88; 65, 104, 112 f; 71, 146, 154 f). Dabei ist es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, die Tatbestände zu bestimmen, die er gleichbehandeln will. Sein Spielraum endet erst dort, wo die ungleiche Behandlung der geregelten Tatbestände evident mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten sachgerechten Betrachtungsweise unvereinbar ist, also ein einleuchtender Grund für die gewählte Differenzierung fehlt (BVerfGE 71, 39, 58; 71, 255, 271).
Zwar weist das LSG zu Recht darauf hin, daß die Klägerin im Vergleich zur Gruppe der Ehegatten – bei denen das Gesetz auf das nicht dauernde Getrenntleben abhebt – anders behandelt wird, da § 138 Abs 1 Nr 2 AFG auch dann zur Anwendung kommt, wenn das Kind von seinen Eltern getrennt lebt. Dies ist jedoch keine sachwidrige Ungleichbehandlung. Vielmehr erklärt sich diese Regelung – wie oben bereits ausgeführt – aus der gesteigerten Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber ihren unverheirateten minderjährigen Kindern. Insofern entspricht die Anrechnungsregelung des § 138 Abs 1 Nr 2 AFG den unterschiedlichen Unterhaltsregelungen des BGB. Während die Unterhaltspflicht nämlich grundsätzlich entfällt, wenn der Unterhaltspflichtige nicht in der Lage ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts Unterhalt zu gewähren (§ 1603 Abs 1 BGB), sind Eltern in einer solchen Lage gegenüber ihren minderjährigen unverheirateten Kindern verpflichtet, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden (§ 1603 Abs 2 Satz 1 BGB). § 138 Abs 1 Nr 2 AFG geht typisierend davon aus, daß der minderjährige nicht verheiratete Arbeitslose, dessen Aufenthalt die erziehungsberechtigten Eltern bestimmen (§ 1631 BGB), am Einkommen der Eltern in deren Haushalt beteiligt wird und werden kann. Verheiratete Minderjährige oder Volljährige können dagegen von ihren Eltern nicht den gesteigerten Unterhalt verlangen und überdies ihren Aufenthalt selbst bestimmen (vgl § 1633 BGB).
Auch der Einwand, der Gesetzgeber habe zwischen minderjährigen unverheirateten Arbeitslosen, die im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils leben, und solchen, die das nicht tun, unterscheiden müssen, führt nicht zur Verfassungswidrigkeit des § 138 Abs 1 Nr 2 AFG. Eine Verletzung des Art 3 Abs 1 GG käme in Betracht, wenn zwischen beiden Gruppen Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestünden, daß sich eine gleiche Behandlung verbieten würde. Dies ist indessen nicht der Fall. Dem genannten Unterschied müßte nur dann Rechnung getragen werden, wenn die öffentliche Hand, die die Kosten der Alhi trägt (§ 188 AFG), gehalten wäre, durch die Alhi unverheirateten minderjährigen Arbeitslosen und ihren Eltern das Getrenntleben in verschiedenen Haushalten zu ermöglichen. Dazu besteht indes keine Verpflichtung. Selbst wenn es dem unverheirateten minderjährigen Arbeitslosen im Einzelfall unzumutbar sein sollte, mit seinen Eltern im gemeinsamen Haushalt zu leben, bleibt es ihm – wie auch im Fall der Klägerin geschehen – unbenommen, Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen (§ 1 Abs 2 Bundessozialhilfegesetz).
Auf die Revision der Beklagten waren daher die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen