Entscheidungsstichwort (Thema)
Gerichtsbescheid. Zustellung. Heilung von Zustellungsmängeln. Ausfertigung. Ausfertigungsvermerk
Leitsatz (amtlich)
Der Mangel der Zustellung eines Gerichtsbescheids gemäß § 84 Abs. 1 Satz 3, § 116 Abs. 3, § 56 Abs. 2 VwGO; § 2 Abs. 1 Satz 1 VwZG (hier: Übergabe einer Abschrift ohne Ausfertigungsvermerk) kann geheilt und der Gerichtsbescheid Grundlage einer Sachentscheidung des Berufungsgerichts sein, nämlich wenn die Abschrift mit der Urschrift übereinstimmt, die Zustellung vom Urkundsbeamten veranlaßt ist und kein Anhalt dafür besteht, daß entgegen dem Willen des Gerichts den Parteien mißbräuchlich ein bloßer Entwurf der Entscheidung mitgeteilt worden ist.
Normenkette
VwGO § 56 Abs. 2, § 84 Abs. 1 S. 3, § 116 Abs. 3; VwZG § 2 Abs. 1 S. 2, § 9 Abs. 1-2
Verfahrensgang
OVG des Saarlandes (Urteil vom 30.06.1998; Aktenzeichen 2 R 1/98) |
VG des Saarlandes (Urteil vom 06.12.1995; Aktenzeichen VG 2 K 188/92) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerinnen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes 30. Juni 1998 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Klägerinnen als Gesamtschuldnerinnen; hiervon ausgenommen sind die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 6 000 DM festgesetzt.
Gründe
I.
Die Beschwerde ist zum überwiegenden Teil unzulässig, im übrigen jedenfalls unbegründet.
1. Soweit die Beschwerde geltend macht, das Berufungsurteil weiche von zwei (näher bezeichneten) Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ab, ist sie unzulässig, weil sie nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO an die Darlegung des geltend gemachten Zulassungsgrundes genügt. Der Revisionszulassungsgrund der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegt – hinsichtlich des Bundesverfassungsgerichts – nur vor, wenn das Berufungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden Rechtssatz zu einem in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Widerspruch tritt. Dieser Zulassungsgrund muß in der Beschwerdebegründung nicht nur durch Angabe der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, von denen das Berufungsgericht abgewichen sein soll, sondern vor allem durch Darlegung der als solche miteinander in unmittelbarem Widerspruch stehenden, entscheidungstragenden Rechtssätze bezeichnet werden.
Die Beschwerde legt nicht dar, daß das Berufungsgericht in Anwendung derselben Vorschrift einen von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts abweichenden Rechtssatz aufgestellt habe. Sie führt zwar aus, daß nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jeder Kläger einen Anspruch auf ein faires Gerichtsverfahren habe und daß bei willkürlicher Rechtsanwendung gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 GG verstoßen werde. Sie behauptet aber selbst nicht, daß das Berufungsgericht diese Grundsätze als solche in Zweifel gezogen hätte. Vielmehr führt sie umfangreich aus, daß sich das Berufungsgericht nicht an die Grundsätze gehalten habe. Sinngemäß macht sie damit nur geltend, das Berufungsgericht habe geltendes Recht falsch angewendet und deshalb fehlerhaft entschieden. Damit ist jedoch ein Zulassungsgrund im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht dargelegt. Die Beschwerde verkennt, daß das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nicht zur umfassenden Überprüfung der Entscheidung des Berufungsgerichts führt; vielmehr darf nur geprüft werden, ob einer der Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 VwGO vorgetragen wird und auch tatsächlich gegeben ist. Die allgemeine Kritik der Beschwerde an dem Berufungsgericht ist deshalb im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unbeachtlich. Dasselbe gilt für die Ausführungen unter II. der Beschwerdebegründung, die keinen Bezug zu einem Zulassungsgrund gemäß § 132 Abs. 2 VwGO besitzen.
2. Die Rüge, es fehle an der erforderlichen Aufklärung des Sachverhalts durch das Berufungsgericht, mag als Verfahrensrüge nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO statthaft sein. Sie muß gleichwohl schon deshalb erfolglos bleiben, weil es auf die von der Beschwerde (S. 17 f. der Beschwerdebegründung) für erforderlich gehaltene Berücksichtigung des Urhandrisses und auf die beantragte Ortsbesichtigung für die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht ankam. Nach seiner Rechtsauffassung ist die Klage nämlich schon deshalb unbegründet, weil das beklagte Ministerium für das Begehren der Klägerinnen nicht zuständig sei. Zur Widerlegung dieser Rechtsauffassung wäre die geforderte (weitere) Aufklärung der tatsächlichen Verhältnisse von vornherein ungeeignet. Übrigens dürfte das Bundesverwaltungsgericht die Richtigkeit der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts zur Zuständigkeit des Beklagten auch gar nicht überprüfen, weil sie auf irrevisiblem Landesrecht beruht (vgl. § 137 Abs. 1, § 173 VwGO, § 562 ZPO).
3. Zu Unrecht macht die Beschwerde geltend, das Berufungsgericht habe im vorliegenden Verfahren keine Entscheidung treffen dürfen, weil die Sache noch beim Verwaltungsgericht anhängig gewesen sei; der Gerichtsbescheid vom 6. Dezember 1995 habe die erste Instanz nämlich nicht beendet, weil dem zugestellten Schriftstück der Ausfertigungsvermerk, das Dienstsiegel und die Unterschrift des Urkundsbeamten gefehlt habe.
Überwiegendes spricht dafür, daß schon die tatsächliche Behauptung der Beschwerde unzutreffend ist. Aus den Gerichtsakten ergibt sich nämlich, daß das Verwaltungsgericht den Gerichtsbescheid und den dazugehörigen Streitwertbeschluß in einem einzigen Schriftstück zusammengefaßt hat; die Seiten 1 bis 13 enthalten den Gerichtsbescheid, die Seiten 14 und 15 den Streitwertbeschluß. Der Ausfertigungsvermerk mit allen erforderlichen Formalien befindet sich auf der Seite 15. Er gilt nicht nur für den Streitwertbeschluß, sondern auch für den Gerichtsbescheid. Dies folgt nicht zuletzt daraus, daß das Rubrum mit der Bezeichnung der Verfahrensbeteiligten auf Seite 1 nach seinem offenkundigen Sinn nicht nur für den Gerichtsbescheid, sondern ebenfalls für beide Entscheidungen gelten soll. Diese Zusammenfassung von Haupt- und Nebenentscheidung in einer einzigen Urkunde entspricht der allgemeinen Praxis der Verwaltungsgerichte und ist rechtlich unbedenklich. Wenn den Klägerinnen eine solche Ausfertigung beider Entscheidungen zugestellt sein sollte, so wäre die Zustellung korrekt, und die hierzu vorgetragenen Rügen der Beschwerde wären gegenstandslos. Nach dem Vortrag der Beschwerde erscheint dies als nicht ausgeschlossen, ja sogar als wahrscheinlich. Von den Klägerinnen vorgelegt worden sind nämlich nur Ablichtungen der Seiten 1 bis 13, nicht jedoch der Seite 15, auf der sich auf dem Aktenexemplar der Ausfertigungsvermerk befindet.
Der Senat braucht die Frage, ob den Klägerinnen eine Ausfertigung beider Entscheidungen, also der Seiten 1 bis 15 mit Ausfertigungsvermerk, zugestellt worden ist, nicht aufzuklären. Denn auch wenn der Ausfertigungsvermerk fehlen sollte, läge mit dem Gerichtsbescheid vom 6. Dezember 1995 eine den ersten Rechtszug beendende Entscheidung vor.
Zutreffend macht die Beschwerde allerdings geltend, daß ein Gerichtsbescheid nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes zuzustellen ist (§ 84 Abs. 1 Satz 3, § 116 Abs. 3, § 56 Abs. 2 VwGO) und daß, wenn – wie hier – die Zustellung gemäß § 2 Abs. 1 VwZG durch Übergabe in einer Ausfertigung beabsichtigt ist, eine Abschrift zugestellt werden muß, die einen vom Urkundsbeamten unterzeichneten und mit einem Dienstsiegel versehenen Ausfertigungsvermerk enthält (vgl. BGHZ 100, 234 ≪237≫). Fehlt ein solcher Ausfertigungsvermerk, so liegt jedoch nicht notwendig nur ein „Scheinurteil” oder eine „Scheinentscheidung” vor. Vielmehr kann auch eine mit einem solchen Formfehler behaftete Entscheidung wirksam und damit Grundlage einer Sachentscheidung des Berufungsgerichts sein, nämlich wenn die Abschrift mit der Urschrift übereinstimmt, die Zustellung vom Urkundsbeamten veranlaßt ist und kein Anhalt dafür besteht, daß entgegen dem Willen des Gerichts den Parteien mißbräuchlich ein bloßer Entwurf der Entscheidung mitgeteilt worden ist (vgl. BGHZ 15, 142; von Feldmann, in Münchener Kommentar zur ZPO, 1992, § 187 Rn. 3, m.w.N.). Dies ergibt sich aus § 9 Abs. 1 VwZG, nach dem Zustellungsfehler geheilt sein können, wenn der Empfänger das Schriftstück tatsächlich erhalten hat. Geheilt werden können Zustellungsfehler jeder Art (BGH NJW 1978, 426, zur inhaltlich übereinstimmenden Vorschrift des § 187 ZPO). Eine Unterscheidung zwischen Mängeln des Zustellungsvorgangs und Mängeln des Zustellungsgegenstandes (des Schriftstücks selbst) ist vom Wortlaut der Vorschrift her nicht zwingend geboten und sinnwidrig, wenn der Zweck der Zustellung erreicht ist (so auch von Feldmann, in Münchener Kommentar zur ZPO, 1992, § 187 Rn. 3; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 21. Aufl. 1994, § 187 Rn. 9). Der Anwendung des § 9 Abs. 1 VwZG steht schließlich auch nicht Absatz 2 der Vorschrift entgegen. Aus § 9 Absatz 2 VwZG ergibt sich nur, daß die in ihm bezeichneten Fristen bei Zustellungsmängeln nicht in Lauf gesetzt werden; die Möglichkeit der Heilung einer mängelbehafteten Zustellung wird jedoch nicht ausgeschlossen (Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 9. November 1976 – GmS-OGB 2/75 – BVerwGE 51, 378 ≪380≫).
Die Beschwerde macht nicht geltend, daß es sich bei dem den Klägerinnen zugestellten Gerichtsbescheid nur um einen Entwurf gehandelt habe, daß er nicht auf Veranlassung des Urkundsbeamten versandt worden sei oder inhaltlich nicht mit der Urschrift der Entscheidung übereinstimme; hierfür bestehen auch keinerlei Anhaltspunkte. Infolgedessen wäre der Gerichtsbescheid selbst dann wirksam, wenn er formell fehlerhaft zugestellt sein sollte. Damit erweisen sich die Einwendungen der Beschwerde gegen die Zuständigkeit des Berufungsgerichts als unbegründet.
4. Der Anspruch auf rechtliches Gehör der Klägerinnen wurde nicht dadurch verletzt, daß das Berufungsgericht ihren Vertagungsantrag abgelehnt hat. Die dienstliche Äußerung des Vorsitzenden vom 30. Juni 1998 enthielt keine Angaben, die den Klägerinnen unbekannt waren. Gleichwohl hat das Berufungsgericht die mündliche Verhandlung für eine halbe Stunde unterbrochen, um den Klägerinnen Gelegenheit zu geben, zur dienstlichen Äußerung Stellung zu nehmen (S. 2 der Niederschrift vom 30. Juni 1998). Ob eine derartige Pause erforderlich war, kann offenbleiben; eine längere Bedenkzeit war jedenfalls verfassungsrechtlich nicht geboten.
5. Die gegen die Beiladung gerichtete Rüge ist schließlich bereits unzulässig, weil die Beschwerde den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht genügt. Selbst wenn zugunsten der Klägerinnen unterstellt würde, daß die Beiladung durch das Verwaltungsgericht fehlerhaft war – wofür nichts spricht – und noch „fortwirkt”, könnte die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nur zugelassen werden, wenn das Berufungsurteil auf dem angeblichen Verfahrensfehler beruhen würde. Die Beschwerde trägt hierzu nichts vor. Dies wäre auch kaum möglich. Denn es ist nicht erkennbar, mit welcher Begründung das Berufungsgericht der Klage hätte stattgeben oder anders entscheiden können, wenn es die Beiladung zuvor aufgehoben hätte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Den Wert des Streitgegenstandes setzt der Senat gemäß § 14 Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG fest.
Unterschriften
Gaentzsch, Lemmel, Rojahn
Fundstellen
Haufe-Index 839036 |
HFR 2000, 311 |
NJW 1999, 1882 |
NVwZ 1999, 183 |
SGb 1999, 302 |
BayVBl. 1999, 158 |
DVBl. 1999, 473 |