Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstweiliger Rechtsschutz. Glaubhaftmachung von Anordnungsgrund und -anspruch. Arbeitslosengeld II. Verfassungswidrigkeit der Höhe der Regelleistungen. Fehlen einer Öffnungsklausel. keine Aussetzung zur Vorlage an BVerfG

 

Leitsatz (amtlich)

1. Soweit der Antragsteller im Wege der einstweiligen Anordnung einen höheren Regelleistungsbedarf als den gesetzlichen Betrag von 345 Euro (West) monatlich begehrt, ist das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nicht glaubhaft gemacht.

2. Ein unabweisbarer Zusatzbedarf von pauschal 19 % der Regelleistung ist jedenfalls im Hinblick darauf nicht glaubhaft, dass die bei einer Bedarfsunterdeckung von 20 % liegende Grenze des zum Leben Unerlässlichen nicht erreicht ist.

3. Eine Aussetzung des Einstweiligen Rechtsschutzverfahrens und Einholung der Entscheidung des BVerfG über eine geltend gemachte Verfassungswidrigkeit der Höhe der Regelleistungspauschale und/oder des Fehlens einer Öffnungsklausel zur Sicherung des individuellen Existenzminimums kommt jedenfalls im Rahmen eines einstweiligen Anordnungsverfahrens dann nicht in Betracht, wenn weder Anordnungsgrund noch Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht ist.

 

Tenor

I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 22. Dezember 2005 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

Verfahrensziel ist die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Zahlung einer um mindestens 19 % erhöhten monatlichen Regelleistung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) im Wege der einstweiligen Anordnung.

Der Antragsteller bezieht seit 1. Januar 2005 von der Antragsgegnerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Durch Bescheid der Antragsgegnerin vom 24. Mai 2005 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 6. September 2005 und des Widerspruchsbescheides vom 14. Oktober 2005 wurden ihm für den Zeitraum 1. Juli 2005 - 30. November 2005 monatlich zustehende Leistungen in Höhe von zuletzt 657,79 € bewilligt. Wegen der Leistungshöhe erhob der Antragsteller am 18. November 2005 Klage bei dem Sozialgericht Kassel (S 1 AS 550/05), über die nach Aktenlage noch nicht entschieden ist.

Durch Bescheid vom 15. November 2005 wurden dem Antragsteller Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum ab 1. Dezember 2005 in Höhe von 657,79 € und durch Änderungsbescheid vom 9. Januar 2006 für den Zeitraum 1. Februar 2006 - 31. Mai 2006 in Höhe von 665,29 € weiterbewilligt, - darin: 345,00 € Regelleistung für erwerbsfähige Hilfebedürftige und 35,79 € Mehrbedarf zum Lebensunterhalt für kostenaufwändige Ernährung und 284,50 € anerkannte monatliche Kosten für Unterkunft und Heizung.

Der Antragsteller hat am 18. November 2005 bei dem Sozialgericht Kassel die Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz mit dem Ziel beantragt, die Antragsgegnerin zur Zahlung einer angemessen erhöhten Regelleistung nach § 20 Abs. 2 SGB II zu verpflichten. Zur Eilbedürftigkeit hat er auf die drohende Verletzung seiner körperlichen Unversehrtheit und die sonstigen fortschreitenden Nachteile, insbesondere die Erschwerung der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit hingewiesen. Zur Begründung eines diesbezüglichen Leistungsanspruchs hat er geltend gemacht, die in § 20 SGB II definierte Regelleistung verstoße gegen das in Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verankerte Sozialstaatsgebot sowie das Gebot der Achtung der Menschenwürde aus Art. 1 GG, weil

1. das Verfahren zur Festsetzung der Regelleistung nicht den Anforderungen entspreche, die an die Festsetzung einer Leistung zur Mindestexistenzsicherung zu stellen seien,

2. die durch Gesetz festgesetzten Beträge der Regelleistung generell nicht ausreichten, um Hilfeempfängern ein Leben zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspreche,

3. es im Gesetz an ausreichenden Öffnungsklauseln fehle, die im Einzelfall eine Hilfeleistung ermöglichten, die dem Menschenwürdegebot entspreche. -

Zur Festsetzung der Regelleistung: Der Gesetzgeber, dem in Ausgestaltung und Umfang existenzsichernder Leistungen ein weiter Ermessensspielraum zuzugestehen sei, sei anderseits gefordert, die existenzsichernde Regelleistung nach dem SGB II nicht willkürlich festzusetzen, sondern ein plausibles und nachvollziehbares Verfahren zu wählen, das dem Maßstab des Art. 1 GG standhalte. Der Regelsatz-Betrag von 345 Euro (West) sei erkennbar eine fiskalische Festlegung, die unter dem Gesichtspunkt der Bedarfsdeckung nicht überprüft worden sei. In der Gesetzesbegründung werde lediglich apodiktisch behauptet, dass die im Gesetz vorgesehenen Leistungen dem Bedarf der Hilfebedürftigen und ihrer Angehörigen gerecht würden (Bundestags-Drucksache 15/1516, S. 55). Es sei nicht ersichtlich, warum der Gesetzgeber sich für die Bezugnahme auf die Ergebnisse der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) 1998 entschieden und wie er diese zu einem Regelsatz von 345 Euro (West) verarbeitet habe; dazu erstellte Gutachten seien der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemach...

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