Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufungsfrist. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Verschulden. Prozessbevollmächtigter. Glaubhaftmachung. Eidesstattliche Versicherung. Postausgangsbuch

 

Leitsatz (redaktionell)

Wird ein Wiedereinsetzungsantrag mit der fristgerechten Absendung eines beim Empfänger nicht eingegangenen Schriftstücks begründet, so genügt die anwaltliche Versicherung der Richtigkeit des Vortrags jedenfalls dann, wenn diese mit der Vorlage objektiver Beweismittel (Postausgangsbuch) verbunden ist.

 

Normenkette

SGG § 67 Abs. 1-2, § 73 Abs. 4 S. 1, § 151; ZPO § 85 Abs. 2

 

Gründe

Die Gewährung der Wiedereinsetzung ergeht als Vorabentscheidung ohne mündliche Verhandlung (Meyer-Ladewig, SGG, Kommentar, 8. Auflage, § 67 Rdnr. 17 a).

Der Kläger war ohne Verschulden an der Einhaltung der Berufungsfrist verhindert. Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, so ist ihm gem. § 67 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Antrag ist binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrages sollen glaubhaft gemacht werden. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen (§ 67 Abs. 2 Satz 1 bis 3 SGG).

In dem vorliegenden Verfahren hat der Kläger die Berufungsfrist als gesetzliche Verfahrensfrist im Sinne des § 67 SGG nicht eingehalten. Die Berufung ist gem. § 151 SGG bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen (Abs. 1); die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird (Abs. 2 Satz 1). Vorliegend war die Frist zur Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 8. Dezember 2003 nicht eingehalten; denn das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 6. Januar 2004 zugestellt; der Fristlauf begann sodann am 7. Januar 2004 und endete am 6. Februar 2004, einem Freitag. Die auf den 6. Februar 2004 datierte Berufungsschrift des Prozessbevollmächtigten des Klägers wurde dem Hessischen Landessozialgericht am 8. Februar 2004, einem Sonntag, um 12.44 Uhr per Fax übermittelt. Die von dem Prozessbevollmächtigten des Klägers später in Kopie vorgelegte Berufungsschrift vom 30. Januar 2004, welche als Adressaten das Sozialgericht Marburg nennt, wurde dort laut Auskunft des Direktors des Sozialgerichts Marburg vom 9. August 2004 ebenso wenig gefunden wie Berufungsschriften in den Parallelverfahren S 5 AL 216/03 und S 5 AL 563/03, die nach Angabe des Prozessbevollmächtigten des Klägers mit dem selben Briefumschlag an das Sozialgericht Marburg versandt worden sein sollen. Für eine falsche Sachbehandlung bei dem Sozialgericht gibt es keine Anhaltspunkte. Die Berufungsfrist war folglich versäumt.

Den Kläger trifft kein Verschulden daran, dass die Berufungsschrift seines Prozessbevollmächtigten vom 30. Januar 2004 an das Sozialgericht Marburg dort nicht nachweisbar zuging; denn es ist glaubhaft gemacht, dass diese Berufungsschrift zur Versendung an das Sozialgericht Marburg per Post am 30. Januar 2004 von dem Prozessbevollmächtigten persönlich in einen Briefkasten eingeworfen wurde. Zur Glaubhaftmachung dieses Sachverhalts im Sinne von § 67 Abs. 2 Satz 2 SGG genügt die überwiegende Wahrscheinlichkeit unter Berücksichtigung aller möglichen Beweismittel. Der Beteiligte muss sich ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (§ 73 Abs. 4 Satz 1 SGG i. V. m. § 85 Abs. 2 Zivilprozessordnung). Die Wahrung der prozessualen Fristen ist Aufgabe des bevollmächtigten Rechtsanwalts. Wird Wiedereinsetzung begehrt, weil ein zur Post gegebenes Schriftstück den Adressaten nicht erreicht habe, ist substantiierte Darlegung erforderlich, dass und auf welche Weise das Schreiben erstellt und abgesandt wurde und wie dies dokumentiert worden ist (Meyer-Ladewig, a. a. O., § 67 Rdnr. 10d m. w. N.). Die Anforderungen an die Substantiierung (Freibeweis, z. B. Versicherung an Eides statt über die Umstände der Aufgabe zur Post) dürfen nicht überspannt werden (Bundesverwaltungsgericht - BVerwG - 16. Oktober 1995 - 7 B 163/95). Jedenfalls ist der Ausgang fristwahrender Schriftsätze im Fristenkalender zu dokumentieren (Lüdtke, SGG, Kommentar, 2. Auflage, § 67 Rdnr. 8 m. w. N.). Wird ein Wiedereinsetzungsantrag mit der fristgerechten Absendung eines beim Empfänger nicht eingegangenen Schriftstücks begründet, so genügt nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) die anwaltliche Versicherung der Richtigkeit des Vortrags jedenfalls dann, wenn diese mit der Vorlage objektiver Beweismittel (Fristenkontrollbuch, Postausgangsbuch) oder der Darlegung, weshalb diese Beweismittel nicht vorgelegt wurden, verbunden ist (BFH vom 22. September 2005 - V B 137-138/04). Selbst bei Fehlen einer wirksamen Postausgangsko...

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