Entscheidungsstichwort (Thema)
Kontoauszug. Vermieterbescheinigung. Versagung wegen fehlender Mitwirkung. Sozialgeheimnis. Datenschutz. informationelle Selbstbestimmung. Mitwirkungspflicht. Bedürftigkeit. Angemessenheit der Kosten der Unterkunft
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Antrag auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende darf grundsätzlich nicht wegen fehlender Mitwirkung abgelehnt werden, wenn der Antragsteller sich weigert, die Kontoauszüge der letzten drei Monate vorzulegen.
2. Gleiches gilt bei der Weigerung, eine Vermieterbescheinigung vorzulegen, wenn es auf die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft wegen § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II nicht ankommt oder die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft offensichtlich ist.
Normenkette
SGB I § 66 Abs. 1, § 60 Abs. 1, § 35; SGB X § 67a Abs. 1, § 20; SGB II §§ 11-12; SGG § 86b Abs. 2
Verfahrensgang
SG Frankfurt am Main (Beschluss vom 09.06.2005; Aktenzeichen S 43 AS 149/05 ER) |
Tenor
- Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 9. Juni 2005 aufgehoben und der Antragsgegner vorläufig bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens verpflichtet, dem Antragsteller Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes zu gewähren.
- Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.
Tatbestand
I.
Der Antragsgegner (Ag) verweigert dem Antragsteller (Ast) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts mit der Begründung, dass dieser sich weigere vollständig und lückenlos Kontoauszüge der letzten drei Monate vor Antragstellung sowie eine von seinem Vermieter ausgefüllte Bescheinigung vorzulegen.
Der im Jahre 1961 geborene Ast stand bis zum 24. Februar 2005 im Bezug von Arbeitslosengeld mit einem täglichen Leistungssatz von 39,61 Euro. Am 9. Februar 2005 stellte er beim Ag den Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Dabei gab er an, über Aktienbesitz im Wert von 5.555,00 Euro sowie einen Deka-Fond im Wert von 1.114,20 Euro zu verfügen; letztere Anteile seien gemäß Vermögensbildungsgesetz gesperrt bis zum 31. Dezember 2008. Sein Girokonto befinde sich mit 938,82 Euro im Soll, an Bargeld verfüge er über 35,00 Euro. Er bewohne eine 1-Zimmer-Wohnung mit einer Größe von 29,17 qm zu einer Kaltmiete von 217,30 Euro monatlich, zusätzlich fielen 22,61 Euro monatlich an Heizkosten und 52,19 Euro monatlich an sonstigen Nebenkosten an. Dem Antrag beigefügt war die Nebenkostenabrechnung des Jahres 2003 der Hausverwaltung W… vom 10. Dezember 2004, der die von der Firma K… erstellten Berechnungen beigefügt waren; im Schreiben der Hausverwaltung wurde der Ast aufgefordert, die Vorauszahlungen um 16,46 Euro monatlich auf 62,70 Euro “= gesamt 280,00 Euro” zu ändern.
Der Ag verlangte daraufhin mit Schreiben vom 10. Februar 2005 unter Hinweis auf § 60 des Sozialgesetzbuchs – Erstes Buch (SGB I) noch die Kopie seines Personalausweises, den Mietvertrag, eine von seinem Vermieter auszufüllende Vermieterbescheinigung, Kontoauszüge der letzten drei Monate (vollständig und lückenlos), Bescheinigung des Geldinstitutes über alle Kontoverfügungen, den Vertrag mit der Deka-Investment-Fond sowie den Vertrag über das Aktien-Depot-Konto. Der Ast legte daraufhin mit Schreiben vom 11. Februar 2005 die Kopie seines Personalausweises und seines Mietvertrages vor; die Kontoauszüge der letzten drei Monate besitze er nicht, ebenso wenig eine Bescheinigung seiner Bank über alle seine Kontoverfügungen. Ferner existiere ein Vertrag im Sinne eines Dokumentes über die Deka-Investment-Fonds nach seinem Kenntnisstand nicht, ebenso wenig ein Vertrag im Sinne eines Dokumentes über das Depot-Konto. Er bestreite die Entscheidungserheblichkeit der Unterlagen. Für die Leistungsgewährung sei es nicht erforderlich, dass er seinen Vermieter von seiner unverschuldet eingetretenen Arbeitslosigkeit in Kenntnis setze.
Daraufhin teilte der Ag mit Schreiben vom 16. Februar 2005 mit, die Vermieterbescheinigung diene der Überprüfung der Angemessenheit der Unterkunftskosten gemäß § 22 Abs. 1 SGB II. Die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft bemesse sich 1. nach der Wohnungsgröße in Abhängigkeit von der Zahl der Haushaltsangehörigen und 2. nach dem Mietzins unter Berücksichtigung der Lage, Bezugfertigkeit und Ausstattung der Wohnung. Diese Angaben seien zumeist nicht im Mietvertrag enthalten und hinsichtlich des Mietzinses häufig nicht auf dem aktuellen Stand. Des Weiteren seien dem Mietvertrag keine Daten über eine etwaige Sanierung oder Wertverbesserung zu entnehmen, die aber für die Beurteilung der Angemessenheit des Mietzinses von Bedeutung sein könnten. Die Höchstmieten, die als angemessen nach dem SGB II gelten würden, beinhalteten den Nettomietzins zuzüglich Umlagen, jedoch ohne Heizkosten. Aus diesem Grund verwende der Hochtaunuskreis die Vermieterbescheinigung zur Überprüfung der angemessenen Unterkunftskosten. Sie werde von jedem Antragsteller angefordert und sei neutral formuliert, so dass daraus nicht ersichtlich sei, dass ein Antrag au...