Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. Berechnung bzw Verteilung des Einkommens aus selbständiger Arbeit. Existenzgründungszuschuss. zweckbestimmte Einnahme
Leitsatz (amtlich)
1. Arbeitseinkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit (§ 15 SGB 4) ist grundsätzlich für das Kalenderjahr zu ermitteln und gleichmäßig auf 12 Kalendermonate zu verteilen (§ 2a Abs 2 S 1 AlgIIV idF ab 1.10.2005). Nach § 2a Abs 2 S 2 AlgIIV sind Jahresabschnitte ohne Arbeitseinkommen nicht zu berücksichtigen, wenn das fehlende Einkommen nicht auf die typischerweise mit Einkommensschwankungen verbundene selbständige Tätigkeit zurückzuführen ist, sondern auf einem davon abweichenden Umstand beruht.
2. Der Existenzgründungszuschuss gemäß § 421l SGB 3 ist im Gegensatz zum Überbrückungsgeld nach § 57 SGB 3 grundsätzlich nicht als Einkommen bei Grundsicherungsleistungen nach dem SGB 2 zu berücksichtigen (§ 11 Abs 3 Nr 1 Buchst a SGB 2). Eine andere Beurteilung kann geboten sein, wenn mit der geförderten selbständigen Tätigkeit bereits ein Einkommen erzielt wird, dessen Höhe auch unterhalb der Fördergrenze von 25.000,00 Euro jährlich es sachgerecht erscheinen lässt, jedenfalls eine Teilanrechnung vorzunehmen, um eine sachlich nicht gerechtfertigte Besserstellung gegenüber anderen zu vermeiden.
Orientierungssatz
Der sozialrechtliche Einkommensbegriff sieht keinen Verlustausgleich vor, so dass ein negatives Betriebsergebnis nicht schon bei der Gewinnermittlung einzubeziehen ist (einkommensteuerrechtlich vorgesehener horizontaler Verlustausgleich innerhalb einer Einkunftsart).
Tenor
I. Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 23. Oktober 2006 geändert und der Antragsgegner vorläufig verpflichtet, an die Antragsteller Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung eines einzusetzenden Einkommens in Höhe von 659,24 € monatlich für den Zeitraum vom 14. September 2006 bis zum 31. Mai 2007 zu zahlen.
Im Übrigen werden die Beschwerde der Antragsteller und die Anschlussbeschwerde des Antragsgegners zurückgewiesen.
II. Der Antragsgegner hat den Antragstellern die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen zur Hälfte zu erstatten.
III. Den Antragstellern wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Rechtsanwalts C., C-Stadt, ohne Ratenzahlung ab Antragstellung bewilligt.
Gründe
I.
Hintergrund des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens über Grund und Höhe des zu zahlenden Arbeitslosengeldes II bilden die Fragen, in welcher Höhe Einkommen (Existenzgründungszuschuss und Arbeitseinkommen) bei der Bedürftigkeitsprüfung für die Gewährung der Regelleistung nach dem SGB II sowie ein Abzug für die Warmwasseraufbereitung bei dem Anspruch auf Übernahme der Kosten der Unterkunft zu berücksichtigen ist.
Die 1982 geborene Antragstellerin und der 1977 geborene Antragsteller wohnen als eheähnliche Lebensgemeinschaft in einer gemeinsamen Unterkunft.
Der Antragsteller übte zunächst jedenfalls ab Anfang 2006 ein Fuhrgewerbe mit eigenen Fahrzeugen und eigenen angestellten Fahrern unter dem Namen “G.„ (Gewerbe zu 1) aus. Da er das Gewerbe nicht Gewinn bringend ausüben konnte, verrichtete er ab Mitte Mai 2006 die Dienstleistungen als Fahrer bzw. Frachtführer ohne eigenen Fuhrpark und angestellte Fahrer unter dem Namen “www.I.de„ (Gewerbe zu 2). Er meldete hierfür ein neues Gewerbe mit Sitz in A-Stadt am 15. Mai 2006 an. Den ersten Leistungsantrag der Antragsteller vom 12. April 2006 auf Zahlung von Arbeitslosengeld II lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 22. Mai 2006 mangels Mitwirkung der Antragsteller gemäß § 66 SGB I mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung versehen ab. Die Antragstellerin meldete am 26. Juni 2006 das Gewerbe “K. etc.„ an und übte es als selbstständige Tätigkeit aus. Deswegen schied sie aus dem Arbeitslosengeld-Bezug bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) aus. Zugleich bewilligte die BA ihr mit Bescheid vom 16. August 2006 für den Zeitraum vom 26. Juni 2006 bis zum 25. Juni 2007 einen Existenzgründungszuschuss in Höhe von 600,00 € monatlich.
Die Antragstellerin stellte am 27. Juli 2006 einen weiteren Antrag auf Zahlung von Arbeitslosengeld II für sich und den Antragsteller. Dabei legte sie einen Mietvertrag vom 12. Oktober 2005 vor, in dem unter § 4 formularmäßig festgelegt ist, die Warmwasseraufbereitung gehöre zu den umlagefähigen Betriebskosten. Der Mietbescheinigung des Vermieters vom 13. August 2006 ist hingegen zu entnehmen, eine Warmwasseraufbereitung erfolge durch die Heizungsanlage nicht. Weiter legten sie eine Bescheinigung des Unternehmensberaters vom 12. August 2006 vor, nach der das Betriebsergebnis des Gewerbes des Antragstellers für den Zeitraum von Mai 2006 bis Juli 2006 2.797,59 € vor Steuern betrage. Als Jahres-Betriebsergebnis ergebe sich danach vor Steuern ein Gesamtbetrag von 11.190,36 € und damit ein monatlich verfügbares Einkommen in Höhe von rund 880,00 €. Für das Jahr 2006 sei jedoch zu berücksichtigen, da...