Entscheidungsstichwort (Thema)
Antragspflichtversicherung nach § 4 Abs 2 SGB 6 im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zur Erfüllung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. höhere Gewalt
Leitsatz (amtlich)
Eine Antragspflichtversicherung nach § 4 Abs 2 SGB VI kann im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs herbeigeführt werden. In tatsächlicher Hinsicht setzt dies aber die positive Feststellung voraus, dass bei zutreffender Beratung durch den Rentenversicherungsträger das Gestaltungsrecht der Antragspflichtversicherung ausgeübt worden wäre. Hierfür trägt der Betroffene die Beweislast.
Orientierungssatz
Die bloße Unkenntnis über anspruchsbegründende Umstände und Rechtsnormen stellt auch dann keinen Umstand höherer Gewalt dar, wenn sie im Wesentlichen auf einer mangelnden Aufklärung der betreffenden Personen durch die zuständigen staatlichen Stellen beruht (vgl BSG vom 10.12.2003 - B 9 VJ 2/02 R = BSGE 92, 34 = SozR 4-3100 § 60 Nr 1 sowie vom 11.5.2000 - B 13 RJ 85/98 R = BSGE 86, 153 = SozR 3-5750 Art 2 § 6 Nr 18).
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 7. November 2014 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Umstritten ist dabei insbesondere, ob der Kläger die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für einen Rentenanspruch erfüllt.
Der 1961 geborene Kläger war zuletzt bis zum 31. März 2003 pflichtversichert in der gesetzlichen Rentenversicherung aufgrund des Bezugs von Arbeitslosengeld. Die von ihm zum 1. April 2003 aufgenommene Selbständigkeit als Handelsvertreter für Werkzeug und Industriebedarf unterstützte die Agentur für Arbeit Marburg durch Bescheid vom 7. März 2003 mit einem Überbrückungsgeld (§ 57 Sozialgesetzbuch, Drittes Buch ≪SGB III≫) für die Zeit vom 2. April 2003 bis 30. September 2003.
Bereits zuvor, am 31. März 2003, beantragte der Kläger bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA), der Rechtsvorgängerin der beigeladenen Deutschen Rentenversicherung Bund, die Befreiung von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung für Selbständige mit einem Auftraggeber. Diesen Antrag lehnte die BfA mit Bescheid vom 13. Mai 2003 ab, da die von dem Kläger ausgeführte Tätigkeit nicht zur Pflichtversicherung als Selbständiger mit einem Auftraggeber führe. Für diese Tätigkeit bestehe keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung.
Seit dem 23. Mai 2011 ist der Kläger arbeitsunfähig erkrankt aufgrund einer Anfang 2011 sicher diagnostizierten Multiplen Sklerose, hinsichtlich derer im Jahr 2000 erstmals eine Verdachtsdiagnose gestellt worden war. Auf seinen Antrag vom 30. Mai 2011 hin führte er vom 20. Juli 2011 bis 16. August 2011 eine stationäre medizinische Rehabilitation durch, aus der er mit einem Leistungsvermögen für die Tätigkeit als selbständiger Handelsvertreter von drei bis unter sechs Stunden sowie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ebenfalls von drei bis unter sechs Stunden für leichte Tätigkeiten entlassen wurde. Ausweislich des Entlassungsberichts beabsichtigte der Kläger, seine Außendiensttätigkeit zeitlich durch die Vermeidung längerer Autofahrten zu reduzieren, indem er sein Handelsvertretergebiet auf weniger Bundesländer beschränken wollte.
Nach Umdeutung des Rehabilitationsantrags in einen Rentenantrag (§ 116 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch ≪SGB VI≫) stellte die Beklagte mit Bescheid vom 13. Oktober 2011 fest, dass der Kläger seit dem 23. Mai 2011 dauerhaft teilweise erwerbsgemindert sei. Er erfülle aber nicht die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen, da in seinem Versicherungskonto die Mindestzahl von 36 Monaten Pflichtbeiträgen im Zeitraum vom 23. Mai 2006 bis zum 22. Mai 2011 nicht enthalten sei; es sei überhaupt kein Pflichtbeitrag in diesem Zeitraum vorhanden. Die Voraussetzungen nach § 241 SGB VI seien nicht erfüllt, weil in der Zeit vom 1. Januar 1984 bis zum 30. April 2011 nicht jeder Kalendermonat mit Anwartschaftserhaltungszeiten belegt sei.
Dagegen richtete sich der Widerspruch des Klägers vom 19. Oktober 2011, mit dem er geltend machte, dass auch nach dem 31. März 2003 Versicherungspflicht bestanden habe. Er beantragte insoweit die Überprüfung des Bescheides vom 13. Mai 2003.
Mit Bescheid vom 10. Januar 2012 lehnte die Beklagte die Aufhebung des Bescheides der Beigeladenen vom 13. Mai 2003 ab, da der Kläger nicht unter den versicherungspflichtigen Personenkreis des § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI falle.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Juni 2012 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den ablehnenden Rentenbescheid vom 13. Oktober 2011 zurück.
Am 2. April 2013 stellte der Kläger einen Überprüfungsantrag, hilfsweise Neuantrag. Zur Begründung trug er vor, dass grundsätzlich die Voraussetz...