Entscheidungsstichwort (Thema)
Erwerbsminderungsrente. Einkommensanrechnung. sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Abgrenzung von § 45 SGB 10 und § 48 SGB 10. Parallelität zwischen Sozialversicherungsrecht und Einkommenssteuerrecht. Mitwirkung eines Steuerberaters
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Abgrenzung von § 45 SGB 10 und § 48 SGB 10.
2. Maßgeblich für die Höhe des Arbeitseinkommens sind die in dem Einkommensteuerbescheid ausgewiesenen Einkünfte; ein Abweichen von der grundsätzlich bestehenden Parallelität zwischen Sozialversicherungsrecht und Einkommenssteuerrecht wegen der Regelung des § 15a EStG kommt nicht in Betracht.
3. Grobe Fahrlässigkeit in Fällen unrichtiger Angaben bei Mitwirkung eines Steuerberaters (§ 45 Abs 2 S 3 Nr 2 SGB 10).
4. Eine Umdeutung der Aufhebungsentscheidung iS eines nachträglichen Ausweichens auf § 48 SGB 10 verbietet sich jedenfalls in den Fällen, in denen eine Bescheidrücknahme nach § 45 SGB 10 wegen überwiegendem Vertrauensschutz ausscheidet. Ein solches Vorgehen widerspricht der Systematik der §§ 44 ff SGB 10.
Orientierungssatz
Zur grundsätzlich bestehenden Parallelität zwischen Sozialversicherungsrecht und Einkommenssteuerrecht vgl BSG vom 7.10.2004 - B 13 RJ 13/04 R = BSGE 93, 226 = SozR 4-2400 § 15 Nr 2, vom 17.2.2005 - B 13 RJ 43/03 R = BSGE 94, 174 = SozR 4-2600 § 96a Nr 5, vom 3.5.2005 - B 13 RJ 8/04 R = BSGE 94, 286 = SozR 4-2600 § 96a Nr 7 und vom 30.3.2006 - B 10 KR 2/04 R = SozR 4-5420 § 2 Nr 1.
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 24. September 2010 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob und in welcher Höhe dem Kläger für die Zeit vom 1. September 2004 bis 31. Dezember 2005 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zusteht oder ob die Leistungen wegen Überschreitens der Hinzuverdienstgrenzen von ihm vollständig oder teilweise zurückzuerstatten sind.
Der Kläger wurde 1968 geboren. Wegen eines Diabetes mellitus Typ-I, insbesondere der Folgeerkrankungen (diabetische Nephropathie mit terminaler dialysepflichtiger Niereninsuffizienz) beantragte er im August 2004 die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung. In dem Rentenformantrag gab er an, bis Februar 2004 Geschäftsführer gewesen und noch Gesellschafter des Autohauses XY. GmbH & Co. KG in B-Stadt zu sein.
Auf Nachfrage der Beklagten erklärte der Kläger unter dem 3. Februar 2005, in der Zeit vom 1. September 2004 bis 8. November 2004 keinen steuerrechtlichen Gewinn aus dem Gewerbebetrieb erzielt zu haben. Diese Angabe bestätigte sein Steuerberater auf dem Formvordruck der Beklagten.
Mit Bescheid vom 18. Februar 2005 bewilligte die Beklagte dem Kläger aufgrund eines Leistungsfalles vom 6. Februar 2004 eine von September 2004 bis Februar 2007 zeitlich befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Der Rentenbescheid enthält auf der Seite 4 folgenden Hinweis:
“Die Rente wird auf der Grundlage einer vorausschauenden Beurteilung des Arbeitseinkommens im Sinne von § 15 SGB IV bewilligt. Dabei ist davon ausgegangen worden, dass entsprechend der Erklärung vom 3. Februar 2005 und dem Schreiben des Steuerberaters vom 31. Januar 2005 das Arbeitseinkommen im Sinne von § 15 SGB IV seit dem 1. September 2004 die Hinzuverdienstgrenze nicht überschreitet. Daher besteht die Verpflichtung, uns jeweils bei Abgabe der Einkommensteuererklärung für das Jahr des Rentenbeginns und der Folgejahre bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres das Arbeitseinkommen abzüglich der Betriebsausgaben - jedoch vor Abzug der Sonderausgaben und Freibeträge - mitzuteilen. (…)
Sollte sich herausstellen, dass das Arbeitseinkommen wider Erwarten für Zeiten des Bezuges der Rente die Hinzuverdienstgrenze überschritten hat, besteht für die jeweiligen Zeiträume kein Anspruch auf die gezahlte Rente. Zu Unrecht erhaltene Beträge sind zu erstatten.„
Beigefügt war dem Rentenbescheid des Weiteren eine Darstellung und Berechnung der Hinzuverdienstgrenzen (Anlage 19 des Bescheides vom 18. Februar 2005).
Auch die Anfrage der Beklagten vom 17. Mai 2005 beantwortete der Kläger unter Bestätigung seines Steuerberaters unter dem 24. Mai 2005 dahin, dass für die Zeit vom 1. September 2004 (sogar) bis zum 30. April 2005 kein Gewinn erzielt worden sei.
Im Rahmen des Verwaltungsverfahrens auf Weiterzahlung der Erwerbsminderungsrente legte der Kläger den Einkommensteuerbescheid des Jahres 2004 vom 8. März 2006 vor, der Einkünfte aus Gewerbebetrieb / Beteiligungen in Höhe von 27.325,00 € auswies.
Mit Bescheid vom 16. März 2007 gewährte die Beklagte neuerlich unter Darstellung der Hinzuverdienstgrenzen eine volle Erwerbsminderungsrente für die Zeit vom 1. Juni 2007 bis zum 31. Mai 2008.
Nach Anhörung des Klägers nahm die Beklagte den Rentenbescheid vom 18. Februar 2005 hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung ab dem 1....