Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit der Anrechnung von Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen auf die Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. die Anwendung von § 93 SGB VI setzt gleichartige Renten voraus. Regelungsinhalt und Bestimmtheit eines Bescheides
Orientierungssatz
1. Die gesetzlichen Bestimmungen über die Anrechnung von Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen auf die Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (Anschluss: BVerfG, Beschluss vom 18. Februar 1998, 1 BvR 1318/86, 1 BvR 1484/86, BVerfGE 97, 271).
2. In der Überschrift des § 93 SGB VI (juris: SGB 6) ist zwar von "Rente und Leistungen aus der Unfallversicherung" die Rede; die Regelung betrifft jedoch nur das Zusammentreffen gleichartiger Renten, und zwar entweder von einer (Versicherten-) Rente aus eigener Rentenversicherung mit einer Verletztenrente aus der Unfallversicherung (§ 93 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI (juris: SGB 6)) oder von einer Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung mit einer entsprechenden Hinterbliebenenrente aus der Unfallversicherung (§ 93 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI (juris: SGB 6)).
3. Welche Regelung in einem Bescheid getroffen wird, ergibt sich aus dessen Verfügungssatz, wobei nach dem Bestimmtheitsgebot des § 33 SGB X (juris: SGB 10) zu fordern ist, dass ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt zu sein hat.
4. Die Grenzen einer möglichen Auslegung sind zur Überzeugung des Senats jedoch überschritten, wenn eine tatsächlich erklärte Regelung (vorliegend: Zurücknahme der die Rentenhöhe betreffenden Regelung in einem einzelnen, datumsmäßig genau bezeichneten Verwaltungsakt) in Widerspruch zum eindeutigen Wortlaut des Verfügungssatzes uminterpretiert werden soll in eine gänzlich andere Regelung (hier: Zurücknahme auch der die Rentenhöhe betreffenden Regelung in mehreren weiteren, nicht genau bezeichneten Verwaltungsakten), die sich bei verständiger Betrachtungsweise als wesensverschiedenes aliud darstellt.
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Fulda vom 20. April 2011 aufgehoben.
Der Bescheid der Beklagten vom 18. April 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 2008 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die ihr zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen außergerichtlichen Aufwendungen für beide Instanzen zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die (teilweise) Rücknahme der Entscheidung über die Gewährung von Witwenrente für die Zeit vom 18. Februar 1999 bis zum 31. Mai 2008 wegen anzurechnenden eigenen Einkommens sowie gegen die Erstattung eines auf 6.142,29 € ermäßigten Überzahlungsbetrages.
Die 1937 geborene Klägerin ist die Witwe des 1944 geborenen und am xx. Februar 1999 verstorbenen Versicherten B. A.. Sie bezog aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen eines am 29. Februar 1980 erlittenen Arbeitsunfalls eine Verletztenrente (Bewilligungsbescheid der Bau-Berufsgenossenschaft BK. vom 18. März 1981) sowie aus der gesetzlichen Rentenversicherung ab 27. April 1994 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und ab 1. Februar 2002 eine Regelaltersrente aus eigener Versicherung. Aufgrund der seitens der Klägerin im Antrag auf Erwerbsunfähigkeitsrente gemachten Angaben holte die Beklagte Auskünfte der Bau-Berufsgenossenschaft vom 25. Mai 1994 sowie vom 16. August 1995 über die Höhe und die Berechnungsgrundlagen der Verletztenrente ein und gelangte in der Anlage 7 zum Bewilligungsbescheid vom 21. September 1995 (Bl. 107 Rentenakten) bzw. zum Neufeststellungsbescheid vom 15. August 1997 (Bl. 171 Rentenakten) zu dem Ergebnis, dass keine Anrechnung der Verletztenrente vorzunehmen sei.
Nach dem Tode des Ehemannes beantragte die Klägerin am 3. März 1999 bei der Beklagten die Gewährung von Hinterbliebenenrente. Das als Anlage zum Rentenantrag beigefügte und unter dem 3. März 1999 von der Klägerin eigenhändig unterschriebene Formular zur Erklärung ihrer eigenen Einkünfte (Formular R 660) enthält unter Punkt 7.1. hinsichtlich der Frage nach einer "Rente aus eigener Versicherung" einen Eintrag bezüglich der ab 27. April 1995 gezahlten Erwerbsunfähigkeitsrente nebst Versicherungsnummer der Klägerin sowie unter Punkt 7.4. hinsichtlich der Frage nach dem Bezug von "Versichertenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung" einen Haken im Kästchen für die Antwort "nein".
Die Beklagte bewilligte der Klägerin daraufhin für die Zeit ab xx. Februar 1999 (Todestag) aus der Versicherung des verstorbenen Ehemannes antragsgemäß durch Bescheid vom 29. April 1999 eine große Witwenrente. Bei der Berechnung des monatlichen Rentenzahlbetrages wurde in Anlage 8 des Bescheides die aus eigener Versicherung bezogene Erwerbsunfähigkeitsrente der Klägerin als Erwerbsersatzeinkommen angerechnet; die Verletztenrente der Klägerin blieb zunächst unberücksichtigt. Im Bewilligungsbescheid vom 29. April 1999 heißt es...