Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit. Physiotherapeutin ohne Zulassung nach § 124 SGB 5. Dienstvertrag mit einem zugelassenen Leistungserbringer. besondere Bedeutung der Regelungen des Leistungserbringungsrechts. abhängige Beschäftigung. selbstständige Tätigkeit
Leitsatz (amtlich)
Die Regelungen des Leistungserbringungsrechts gemäߧ§ 124 f SGB V sind bei der Statusbeurteilung eines Physiotherapeuten von besonderer Bedeutung. Hat dieser keine Zulassung als Leistungserbringer, so ist dies bei der Gewichtung der Indizien als wesentlich zu berücksichtigen.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 5. Juni 2023 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Außergerichtliche Kosten des Beigeladenen werden nicht erstattet.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Statusfeststellung.
Die 1959 geborene Klägerin ist ausgebildete Physiotherapeutin. Sie betrieb früher eine eigene Praxis, die sie später aus familiären Gründen verpachtete. Die Wiederaufnahme der Praxis erwies sich für sie als unwirtschaftlich. Sie war daraufhin in Altenheimen tätig.
Der Beigeladene betreibt eine Praxis für Osteopathie und Physiotherapie und verfügt - anders als die Klägerin im streitigen Zeitraum - über eine Zulassung zur Leistungserbringung zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen nach§ 124 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) .
Am 30.06.2020 schlossen die Klägerin (Auftragnehmer) und der Beigeladene (Auftraggeber) folgenden Dienstvertrag:
„§ 1
Der Auftragnehmer ist Physiotherapeut und wird ab dem 01.07.2020 für den Auftraggeber nach Absprache gesetzlich- und privatversicherte Patienten aufgrund von kassen- oder privatärztlichen Heilmittelverordnungen versorgen. Es handelt sich um eine freie Mitarbeit (Dienstvertrag).
§ 2
Der Auftragnehmer ist an keine Arbeitszeit gebunden. Er ist nicht zur Annahme von Behandlungsaufträgen verpflichtet.
§ 3
Der Auftragnehmer erhält eine umsatzabhängige Vergütung. Er erhält für jede durchgeführte Therapiemaßnahme 75 % von dem Honorar, das der Auftraggeber den gesetzlichen Krankenkassen oder den Privatpatienten in Rechnung stellt. Der Auftragnehmer stellt dem Auftraggeber spätestens bis zum dritten Werktag des Folgemonats eine Rechnung der von ihm in dem vorangegangenen Monat durchgeführten Therapiemaßnahmen. Fahrtkosten werden nicht erstattet.
§ 4
Mit dem Entgelt abgegolten ist außerdem die Nutzung der in dem Behandlungsraum vorhandenen Therapieliege. Weitere Arbeitsmittel, wie Massageöle, Desinfektionsmittel, Pflegeprodukte, Gymnastikmatte, Pezziball schafft der Auftragnehmer auf eigene Kosten an.
§ 5
Die Terminierung der Behandlungen übernimmt der Auftragnehmer selbst. Er nutzt eigene Visitenkarten mit eigenen Kontaktdaten, die an die von ihm behandelten Patienten übergeben werden. Der Auftragnehmer führt eine eigene Patientenkartei, getrennt von der Patientendokumentation der Praxis. Der Auftragnehmer ist verpflichtet, für jeden Behandlungsauftrag eine von seiner Patientendokumentation getrennte Verlaufsdokumentation anzufertigen. Diese hat er dem Auftraggeber zu übergeben.
§ 6
Dem Auftragnehmer wird keine Dienstkleidung gestellt. Der Auftragnehmer soll wahrnehmbar am Markt unternehmerisch auftreten.
§ 7
Der Auftragnehmer ist verpflichtet, eine eigene Berufshaftpflichtversicherung abzuschließen. Er versichert dem Auftraggeber, als selbstständiger Physiotherapeut Beiträge an die gesetzliche Rentenkasse zu leisten. Der Auftragnehmer ist verpflichtet, dem Auftraggeber seine Meldung als selbstständiger Physiotherapeut bei der gesetzlichen Unfallversicherung (BGW) vorzulegen.
§ 8
Der Auftragnehmer haftet für alle vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführten Körper- und/oder Vermögensschäden. Für den Fall einer Inanspruchnahme durch Dritte stellt der Auftragnehmer den Auftraggeber von allen Ansprüchen frei.
§ 9
Dieser Vertrag kann von beiden Parteien mit einer Frist von drei Wochen zum Monatsende gekündigt werden.“
Am 20.07.2020 beantragten die Klägerin und der Beigeladene bei der Beklagten eine Statusfeststellung hinsichtlich der Tätigkeit der Klägerin bei dem Beigeladenen als Physiotherapeutin. Die Klägerin gab an, dass sie noch zwei weitere Auftraggeber habe. Die Einnahmen aus dem Auftragsverhältnis mit dem Beigeladenen machten 40 % ihres Gesamteinkommens aus. Sie beschäftige keine Arbeitnehmer. Zu 99,9 % mache sie Hausbesuche. Bei den Patienten handele es sich um ihren Patientenstamm, den sie mitbringe. Sie besitze eine eigene Patientenkartei und Verlaufsdokumentation, von welcher der Beigeladene eine Kopie erhalte. Der Beigeladene mache keine Vorgaben hinsichtlich der Art und Weise der Auftragsausführung und gebe keine Arbeitszeiten und Anwesenheitszeiten vor. Sie behandele Patienten zweier Altenheime und sei hin und wieder 1 - 2 Stunden in der Woche in der Praxis des Beigeladenen tätig. Sie sei hinsichtlich des Tätigkeitsortes nicht eingeschränkt. Auch sei sie nicht in die Pra...