1 Allgemeines
Rz. 1
§ 111 schließt in der Systematik folgerichtig an § 110 Abs. 1 an, indem die Vorschrift weitere mit der Ladung vorzunehmende Maßnahmen nennt.
2 Rechtspraxis
2.1 § 111 Abs. 1
Rz. 2
§ 111 Abs. 1 Satz 1 enthält für das sozialgerichtliche Verfahren eine eigenständige Ermächtigung des Vorsitzenden, das persönliche Erscheinen von Beteiligten anzuordnen. Die Vorschrift bietet damit die Möglichkeit, eine besondere Mitwirkungshandlung durchzusetzen. Es bedarf insoweit keines Rückgriffs auf § 141 ZPO über § 202 SGG. § 111 Abs. 1 Satz 1 ist vielmehr lex specialis. Für die Anordnung des persönlichen Erscheinens zu einem Erörterungstermin gilt § 106 Abs. 3 Nr. 7.
Rz. 3
Der Gesetzgeber hat die Ermächtigung als Kann-Vorschrift ausgestaltet. Die Anordnung des persönlichen Erscheinens eines Beteiligten oder mehrerer Beteiligter steht damit im pflichtgemäßen Ermessen des Vorsitzenden. Die Ausgestaltung des § 111 als Ermessensvorschrift verstößt nicht gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör i. S. d. Art. 103 Abs. 1 GG, § 62 SGG (vgl. BSG, Beschluss v. 31.1.2008, B 2 U 311/07 B, juris; BSG, Beschluss v. 21.8.2008, B 13 R 109/08 B, juris; BSG, Beschluss v. 17.10.2008, B 13 R 341/08 B, juris; BSG, Beschluss v. 23.4.2009, B 13 R 15/09 B, juris). Nicht haltbar, da Anspruch auf rechtliches Gehör und Anordnung persönlichen Erscheinens gleichsetzend, ist die Auffassung, § 111 werde verletzt, wenn die Anordnung des persönlichen Erscheinens gegen den ausdrücklichen Willen des betreffenden Verfahrensbeteiligten abgelehnt werde (so aber LSG NRW, Urteil v. 19.3.2008, L 8 R 264/07, juris, indes korrigiert durch Beschlüsse desselben Senates v. 20.8.2008, L 8 R 23/07, juris, 3.9.2008, L 8 R 265/07, juris, und 19.11.2008, L 8 R 275/07, juris). Der Umstand, dass der Vorsitzende das persönliche Erscheinen eines Beteiligten zur mündlichen Verhandlung nicht anordnet, bedeutet nicht, dass er den Prozessvortrag des betreffenden Beteiligten nicht zur Kenntnis nehmen will. Dem betroffenen Beteiligten steht es nach wie vor anheim, in der mündlichen Verhandlung zu erscheinen und dort vorzutragen oder aber auch zuvor schriftsätzlich seinen Vortrag zu unterbreiten.
Beim Fehlen einer Prozessvollmacht ist das Ermessen des Gerichts nicht etwa wegen des Amtsermittlungsgrundsatzes dahin auf Null reduziert, dass das persönliche Erscheinen des angeblich vertretenen Beteiligten zur mündlichen Verhandlung angeordnet werden müsste, um das Vorhandensein der Bevollmächtigung zu erforschen (vgl. LSG Schleswig-Holstein, Urteil v. 3.11.1999, L 4 KA 3/99, Breithaupt 2000 S. 680 ff).
Rz. 4
Innerhalb der Ermessensentscheidung wird der Kammervorsitzende verschiedene Gesichtspunkte abzuwägen haben. Zunächst ist zu prüfen, welcher Tatbestand aus seiner Sicht das persönliche Erscheinen als zweckmäßig erscheinen lässt. Dies wird häufig die Erforderlichkeit sein, den Sachverhalt aufzuklären, wie es § 141 Abs. 1 ZPO für den Zivilprozess sogar tatbestandlich normiert. Eine Parteivernehmung im technischen Sinne, wie sie die ZPO ausdrücklich vorsieht (vgl. dort §§ 445 ff.), ist dem sozialgerichtlichen Verfahren allerdings unbekannt. Sehr weitgehend erscheint die in diesem Zusammenhang geäußerte Auffassung, die Gerichte seien verpflichtet, "in geeigneten Fällen" den Sachvortrag der Beteiligten bei der Überzeugungsbildung zu verwenden, wenn er ihnen "glaubhaft" erscheine (BSG, Beschluss v. 10.2.1998, B 2 U 2/98 B, juris).
In einigen Fällen kann es im Interesse des betreffenden Beteiligten geboten sein, das persönliche Erscheinen anzuordnen. Dies gilt insbesondere dann, wenn zutage tritt, dass dem Beteiligten offenbar die sprachlichen Mittel gefehlt haben, sein Anliegen schriftlich (vgl. § 108) vor einem Termin zur mündlichen Verhandlung ausreichend darzulegen (vgl. BSG, Urteil v. 15.7.1992, 9a RV 3/91, juris; BSG, Beschluss v. 23.4.2009, B 13 R 15/09 B, juris). Die Defizite können insbesondere auch in einer unklaren oder sogar missverständlichen schriftlichen Antragstellung liegen. Nach § 112 Abs. 2 Satz 2 hat der Vorsitzende u. a. darauf hinzuwirken, dass angemessene und sachdienliche Anträge gestellt werden. Dies wird durch die Anordnung des persönlichen Erscheinens oft gerade erst ermöglicht.
Geboten erscheinen wird die Anordnung im Übrigen in Fällen, in denen beabsichtigt ist, den Anspruchsteller im Termin einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 31.3.1983, L 3 Sb 18/83, Breithaupt 1983 S. 937 ff.). Entsprechendes gilt wegen der Vorschrift des § 117, wenn es um die Gewinnung eines persönlichen Eindrucks von einem Beteiligten geht, dessen Verhalten als fahrlässig oder nicht fahrlässig beurteilt werden soll (vgl. BSG, Urteil v. 28.11.2007, B 11a/7a AL 14/07 R, SozR 4 – 1500 § 128 Nr. 7).
Rz. 4a
Beachtenswert ist die Vorschrift des § 278 Abs. 3 ZPO. Danach stellt der Vorsitzende in einer sozialgerichtlichen Streitsache sicher keine ermessensfehlerhafte Überlegung an, wenn er das persönliche Erscheinen zur Herbeiführung einer von ihm als angemessen angesehenen gütlichen Beilegun...