Rz. 25
Ausweislich des Wortlauts der Vorschrift kommt es nicht darauf an, ob die Berufung offensichtlich unbegründet ist. Voraussetzung ist lediglich, dass die Berufsrichter sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halten. Ersteres allerdings ist in der ganz überwiegenden Zahl der erfolglosen Berufungen der Fall. Danach hätte Abs. 4 einen weithin urteilsersetzenden Charakter. Fraglich ist, ob Abs. 4 angesichts des Grundsatzes, dass der Rechtsstreit aufgrund mündlicher Verhandlung (BSG, Urteil v. 2.5.2001, B 2 U 29/00 R, SozR 3-1500 § 153 Nr. 13: Kernstück des gerichtlichen Verfahrens; BSG, Urteil v. 7.11.2001, B 9 V 6/01 R: besonderer Rechtswert der mündlichen Verhandlung; vgl. auch Redeker, NJW 2002 S. 192; vgl. auch Rz. 16) und mit ehrenamtlichen Richtern zu entscheiden ist, restriktiv ausgelegt werden muss. Die Gesetzesbegründung spricht dafür. Denn hiernach soll dem LSG (lediglich) die Möglichkeit gegeben werden, eindeutig aussichtslose Berufungen rasch und ohne unangemessenen Verfahrensaufwand zu bearbeiten (BT-Drs. 12/1217 S. 53 zu Nr. 7d). Diese Vorstellung des Gesetzgebers findet sich im Gesetzeswortlaut jedoch nicht ansatzweise wieder und ist deswegen für die Auslegung der Vorschrift zu vernachlässigen (zur Wortlautauslegung vgl. auch BSG, Urteil v. 20.2.1964, 8 RV 649/62, SozR Nr. 20 zu § 3 BVG; BFH, Urteil v. 23.9.1999, IV R 56/98, NVwZ 2000 S. 599; LSG NRW, Beschluss v. 29.5.2012, L 11 KR 206/12 B; Fischer, NJW 2002 S. 1551, 1552: Wortlaut als starkes Indiz dafür, was der Gesetzgeber gemeint hat). Dies gilt umso mehr, als der Gesetzgeber den Erlass eines Gerichtsbescheids ausdrücklich davon abhängig gemacht hat, dass der Rechtsstreit keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist. Hätte der Gesetzgeber auch den Beschluss nach § 153 Abs. 4 an diese Voraussetzungen knüpfen wollen, hätte es nicht nur nahegelegen, sondern wäre geradezu seine Pflicht gewesen, genau dies in der Vorschrift zum Ausdruck zu bringen. Da dies nicht geschehen ist, kann trotz der Gesetzesbegründung nur von der bewussten Entscheidung des Gesetzgebers ausgegangen werden, den Beschluss nach § 153 Abs. 4 nicht an Restriktionen wie "eindeutig aussichtslose Berufung" oder "offensichtlich unbegründet" zu knüpfen (so im Ergebnis auch BSG, Urteil v. 23.12.1996, 5 BJ 196/96; Zeihe, SGG, § 153 Rn. 18a; Rohwer-Kahlmann, SGG, § 153 Rn. 22; Wagner, in: Hennig, SGG, § 153 Rn. 64; Peters/Sautter/Wolff, SGG, § 153 Rn. 40; Kunze, BKK 1993 S. 666; unklar: BSG, Urteil v. 2.5.2001, B 2 U 29/00 R, SozR 3-1500 § 153 Nr. 13; OLG Celle, Beschluss v. 6.6.2002, 2 U 31/02, NJW 2002 S. 2800 zu § 522 Abs. 2 ZPO, nachgehend BVerfG, Beschluss v. 5.8.2002, 2 BvR 1108/02, NJW 2003 S. 281). Dem entspricht es, wenn das BVerfG zu § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO entschieden hat, dass es nicht gegen die Gewährleistung des gesetzlichen Richters oder den Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes verstößt, wenn bei Auslegung dieser Norm die Zurückweisung der Berufung nicht auf Fälle beschränkt wird, in denen die fehlende Erfolgsaussicht i. e. S. "offensichtlichen" Unbegründetheit der Berufung besonders deutlich ins Auge springt (BVerfG, Beschluss v. 5.8 2002, 2 BvR 1108/02, NJW 2003 S. 281; vgl. auch VerfGH Berlin, Beschluss v. 30.4.2004, 2/04, NJW-RR 2004 S. 1719). Demzufolge kann auch über schwierige Berufungen durch Beschluss entscheiden werden, wenn die übrigen Voraussetzungen vorliegen (Peters/Sautter/Wolff, SGG, § 153 Rn. 40; Rohwer-Kahlmann, SGG, § 153 Rn. 22). Die Voraussetzungen des § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG sind nicht auf § 153 Abs. 4 übertragbar (BSG, Beschluss v. 21.6.1994, 9 BV 38/94). Allerdings wird eine Entscheidung durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 dann nicht in Betracht, wenn die Rechtssache außergewöhnlich große Schwierigkeiten in rechtlicher und/oder tatsächlicher Hinsicht aufweist (vgl. BVerwG, Beschluss v. 3.6.2004, 6 C 28/03, zu § 130a VwGO; vgl. auch BSG, Urteil v. 2.5.2001, B 2 U 29/00 R). Die Abgrenzung ist fließend.