Rz. 54
Neben den Tätigkeitsgebühren (Geschäftsgebühr, Verfahrensgebühr, Terminsgebühr) kann im gerichtlichen wie im außergerichtlichen Verfahren als weitere Gebühr eine Einigungsgebühr oder Erledigungsgebühr anfallen (Teil 1 VV RVG). Diese Gebühren werden überwiegend als "Erfolgsgebühren" bezeichnet, da sie nur im Fall der unstreitigen Erledigung des Verfahrens anfallen. Ihrem Charakter nach handelt es sich um eine weitere Tätigkeitsgebühr, da mit den Gebühren ein bestimmtes Handeln des Rechtsanwalts, das von den übrigen Tätigkeitsgebühren (Verfahrensgebühr, Terminsgebühr und Geschäftsgebühr) nicht erfasst wird, abgegolten wird. Mit der Einigungs- oder Erledigungsgebühr soll das erfolgreiche Bemühen eines Rechtsanwalts um eine möglichst weitgehende Herstellung des Rechtsfriedens ohne gerichtliche Sachentscheidung und die damit verbundene Entlastung des Gerichts honoriert werden (BT-Drs. 15/1971 S. 204).
Das VV RVG sieht für den Fall, dass die Einigungs-/Erledigungsgebühr im gerichtlichen Verfahren anfällt, einen geringeren Gebührenrahmen (Nr. 1003, 1004, 1006 VV RVG) vor, als wenn die Einigungs-/Erledigungsgebühr zuvor im außergerichtlichen Verfahren (Nr. 1000, 1002, 1005 VV RVG) anfällt. Durch den höheren Gebührenrahmen für eine Einigung bzw. Erledigung im Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren soll honoriert werden, dass durch das anwaltliche Handeln ein Gerichtsverfahren vermieden worden ist.
Rz. 55
Durch die Einigungsgebühr (Nr. 1000, 1005, 1006 VV RVG) soll die mit der Einigung verbundene Mehrbelastung und erhöhte Verantwortung des beteiligten Rechtsanwalts vergütet werden, durch die zudem die Belastung der Gerichte gemindert wird (BGH, Urteil v. 20.11.2008, IX ZR 186/07, FamRZ 2009, 30). Nach Nr. 1000 Abs. 1 VV RVG entsteht eine Einigungsgebühr für die Mitwirkung des Rechtsanwaltes bei dem Abschluss eines Vertrages, durch den der Streit oder die Ungewissheit der (Haupt)Beteiligten über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird. Nr. 1000 Abs. 1 VV RVG fordert nicht den Abschluss eines förmlichen Vergleichs i. S. d. § 779 BGB (vgl. BGH, Beschluss v. 11.12.2019, XII ZB 276/19, und Urteil v. 20.11.2008, IX ZR 186/07 zu § 779 BGB), sondern es genügt jede vertragliche Einigung über den in Frage stehenden materiell-rechtlichen Anspruch (BAG, Beschluss v. 29.3.2006, 3 AZB 69/05). Die Einigung muss ein gegenseitiges Nachgeben beinhalten. Die Einigung über ein vollständiges Anerkenntnis oder einen vollständigen Verzicht reicht nicht aus, um die Gebühr auszulösen (Nr. 1000 Abs. 1 Satz 2 VV RVG). Unter Verzicht ist der Verzicht auf die Weiterverfolgung des Anspruchs zu verstehen (vgl. LSG Bayern, Beschluss v. 1.7.2011, L 15 SF 82/10 B E zur Klagerücknahme als Verzicht i. S. v. Nr. 1000 Abs. 1 VV RVG; LSG Thüringen, Beschluss v. 14.2.2011, L 6 SF 1376/10 B). Eine Einigungsgebühr fällt daher nicht an, wenn der von den Beteiligten geschlossene Vertrag ausschließlich das Anerkenntnis der gesamten Forderung durch den Schuldner oder den Verzicht des Gläubigers auf den gesamten Anspruch zum Inhalt hat (BGH, Urteil v. 20.11.2008, IX ZR 186/07). Der Vertrag kann stillschweigend geschlossen werden und ist nicht formbedürftig, sofern dies materiell-rechtlich nicht besonders vorgeschrieben ist (BGH, Beschluss v. 17.9.2008, IV ZB 14/08). Eine außergerichtliche Einigung der Beteiligten über den Streitgegenstand ohne förmliche Niederlegung eines Prozessvergleichs genügt für den Anfall der Gebühr, die Protokollierung eines als Vollstreckungstitel tauglichen Vergleichs nach § 199 Abs. 1 Nr. 3 ist nicht erforderlich (vgl. BGH, Beschluss v. 15.3.2011, VI ZB 45/09).
Bloße einseitige, voneinander unabhängige Erklärungen, auch wenn sie von beiden Seiten abgegeben werden und zur Beendigung eines Rechtsstreits führen, genügen für die Annahme einer Einigung i. S. v. Nr. 1000 Abs. 1 VV RVG nicht (vgl. LSG Schleswig-Holstein, Beschluss v. 17.3.2014, L 5 SF 43/14 B E; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 25.3.2013, L 7 AS 1391/12 B; OLG Stuttgart, Beschluss v. 10.2.2011, 8 W 40/11; BGH, Beschluss v. 28.3.2006, VIII ZB 29/05, wonach nicht in jedem Fall bei einer Teilrücknahme und Anerkenntnis hinsichtlich der verbleibenden Klageforderung eine Einigung angenommen werden kann).
Nach Nr. 1000 Abs. 4 VV RVG kann eine Einigungsgebühr auch bei Rechtsverhältnissen des öffentlichen Rechts anfallen, soweit über die Ansprüche vertraglich verfügt werden kann. Insoweit sind die Bestimmungen der §§ 53 ff. SGB X über den öffentlich-rechtlichen Vertrag, insbesondere § 53 Abs. 2 SGB X, wonach ein öffentlich-rechtlicher Vertrag über Sozialleistungen (vgl. § 11 SGB I) nur geschlossen werden kann, soweit die Erbringung der Leistungen im Ermessen des Leistungsträgers steht, § 54 SGB X über die Voraussetzungen eines Vergleichsvertrages und die Formvorschrift des § 56 SGB X zu beachten. Bei einem Vergleichsvertrag i. S. v. § 54 SGB X handelt es sich entsprechend § 779 BGB um einen Vertrag, durch den eine bei verständiger Würdigung des Sachverhalts und der Rechtslage besteh...