Rz. 2
Gesetzliche Fristen beginnen nach Maßgabe der jeweiligen Norm (hierzu Frehse, S. 1157). Richterliche Fristen beginnen nach der getroffenen Anordnung, Zustellung, Eröffnung oder Verkündung. Ist allerdings eine Zustellung vorgeschrieben, setzt eine Verkündung oder Eröffnung die Frist nicht in Lauf. Der Tag, in welchen das für den Fristenablauf maßgebende Erereignis fällt, bleibt außer Betracht (Hommel, in: Peters/Sautter/Wolff, SGG, § 64 Anm. 2). So beginnt die Frist des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG mit dem Eingang der Verzögerungsrüge als Ereignis beim Ausgangsgericht am Folgetag um 0.00 Uhr (hierzu Frehse, S. 1157). Soweit eine Zustellung vorgeschrieben ist, beginnt der Lauf der Frist mit dem Tag nach der Zustellung, unabhängig davon, ob es sich hierbei um einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend handelt. Ansonsten beginnt der Lauf der Frist mit dem Tag nach der Eröffnung, d. h. der mündlichen oder schriftlichen Mitteilung oder der Verkündung, d. h. der formellen mündlichen Bekanntgabe in einem Termin. Die Verkündung setzt ebenso wie die Eröffnung die Frist nur in Gang, wenn das Gesetz nicht darüber hinaus noch die Zustellung vorsieht. Kommt es bei einer schriftlichen Bekanntgabe auf den Zugang an, ist wie für den Zugang von Willenserklärungen maßgeblich, wann das Schriftstück so in den Machtbereich des Adressaten gelangt ist, dass unter normalen Umständen mit einer Kenntnisnahme gerechnet werden konnte.
Die wirksame Zustellung der Entscheidung (Urteil, Gerichtsbescheid, Beschluss), der Lauf der Frist für die Einlegung des Rechtsmittels und die Möglichkeit der Wiedereinsetzung richten sich bei einem blinden Rechtsmittelführer nicht allein nach dem SGG. Ein Verstoß gegen z. B. § 4 Abs. 2 der Verordnung zur barrierefreien Zugänglichmachung von Dokumenten für blinde und sehbehinderte Personen im gerichtlichen Verfahren (Zugänglichmachungsverordnung – ZMV) v. 26.2.2007 (BGBl. I S. 215), zuletzt gändert durch Art. 20 des Gesetzes v. 10.10.2013 (BGBl. I S. 3786), führt dazu, dass die Jahresfrist (§ 66 Abs. 2) maßgeblich und ggf. Wiedereinsetzung (§ 67) zu gewähren ist (BSG, Urteil v. 3.3.2009, B 1 KR 69/08 B, SozR 4-1500 § 160a Nr. 23).
Rz. 3
Ein schriftlicher Verwaltungsakt gilt bei der Übermittlung durch die Post im Inland auch dann am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, wenn dieser Tag auf einen Sonnabend, Sonntag oder Feiertag fällt (BSG, Urteil v. 6.5.2010, B 14 AS 12/09 R, NJW 2011 S. 1099; hierzu Rieker, ASR 2011, 16 und jurisPR-SozR 22/2010 Anm. 6; a. A. BFH, Urteil v. 14.10.2003, IX R 68/98, BFHE 203, 26). Bei einem Zugang des Verwaltungsaktes nach dem dritten Tage gilt die Fiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X hingegen nicht (§ 37 Abs. 2 Satz 3 SGB X; vgl. auch BSG, Urteil v. 19.3.1957, 10 RV 609/56, BSGE 5, 53). Entsprechendes ist maßgebend, wenn sich aus den Behördenakten nicht der Tag der Aufgabe zur Post ergibt (BSG, Urteil v. 3.3.2009, B 4 AS 37/08 R, SozR 4-4200 § 22 Nr. 15; BSG, Urteil v. 28.11.2006, B 2 U 33/05 R, BSGE 97, 279). Hat eine Behörde die förmliche Zustellung gewählt, sind nach § 85 Abs. 3 Satz 2 SGG die §§ 2 bis 10 VwZG anzuwenden. An die Stelle der Bekanntgabe tritt für den Beginn der Klagefrist die Zustellung des Widerspruchsbescheides nach dem VwZG. Die Vermutung der Zustellung nach § 4 Abs. 2 Satz 2 HS 1 VwZG greift auch dann ein, wenn der für die Zustellung maßgebende dritte Tag nach der Aufgabe zur Post auf einen Sonnabend, Sonntag oder Feiertag fällt. § 26 Abs. 3 Satz 1 SGB X bzw. § 64 Abs. 3 SGG, wonach eine Frist erst mit dem Ablauf des nächstfolgenden Werktags endet, wenn das Ende der Frist auf einen Sonntag, gesetzlichen Feiertag oder Sonnabend fällt, sind weder direkt noch analog anzuwenden (zutreffend BSG, Urteil v. 9.12.2008, B 8/9b SO 13/07 R).
Rz. 4
Die Zustellung ist für alle Verfügungen und Entscheidungen vorgeschrieben, durch die eine Frist in Lauf gesetzt wird. Sofern Verfügungen und Entscheidungen verkündet werden, ist die Zustellung nur bei ausdrücklichem gesetzlichen Gebot (§ 63 Abs. 1) erforderlich (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, § 64 Rn. 3). Die Verkündung meint die formelle Eröffnung der Entscheidung in der mündlichen Verhandlung (Kothe, in: Redeker/von Oertzen, VwGO, § 57 Rn. 3; Hommel, in: Peters/Sautter/Wolff, SGG, § 63 Anm. 3). Die Eröffnung ist der weiteste Begriff und betrifft jede Art der bewussten und gewollten Mitteilung der Entscheidung (Kothe, in: Redeker/von Oertzen, VwGO, § 57 Rn. 4).
Rz. 5
Beginnt die Frist mit einem anderen Ereignis, wie z. B. im Fall des § 67 Abs. 2 Satz 1, gilt gemäß § 202 Satz 1 SGG i. V. m. § 222 ZPO die Vorschrift des § 187 Abs. 1 BGB. Bei der Fristberechnung zählt der Tag des Ereignisses nicht mit. Die Frist beginnt für jeden Beteiligten gesondert zu laufen.