Rz. 52
Die eine jederzeitige Änderung oder Aufhebung auf Antrag vorsehende Regelung des § 86b Abs. 1 Satz 4 gilt unmittelbar nur für Entscheidungen im Sinne des § 86b Abs. 1 und nur im Falle einer vorherigen stattgebenden Entscheidung ("Maßnahmen") des Gerichts. Jederzeit bedeutet, dass das Gericht nach seiner Entscheidung keinen zeitlichen Grenzen mehr unterworfen ist (Zeihe, SGG, 11/2010, § 86b Rn. 17). Abänderungsbefugt ist, wie der Wortlaut belegt, nur das Gericht der Hauptsache. Gericht der Hauptsache ist nicht notwendig das Gericht, das den mit dem Abänderungsantrag angegriffenen Beschluss erlassen hat, sondern das Gericht, bei dem die Hauptsache anhängig oder anhängig zu machen ist (VGH Hessen, Beschluss v. 30.4.1996, 6 Q 1069/96, NJW 1997 S. 211). Das Gericht wird nach pflichtgemäßem Ermessen ("kann") tätig.
Rz. 53
§ 86b Abs. 1 Satz 4 ermöglicht in den Fällen, in denen über die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen einen belastenden Verwaltungsakt zu entscheiden war, Abänderungsentscheidungen auf Antrag. Wegen des umfassenden Rechtsschutzgebotes des Art. 19 Abs. 4 GG spricht einiges dafür, die Vorschrift des § 86b Abs. 1 Satz 4 auf den Fall einer vorherigen ablehnenden Entscheidung des Gerichts nach § 86b Abs. 2 Satz 2 anzuwenden und eine Änderungsbefugnis anzunehmen. Dies würde allerdings eine doppelte Analogie erfordern, denn notwendig wäre nicht nur die Übertragung dieser Regelung von Abs. 1 auf Abs. 2 der Vorschrift des § 86b, sondern auch auf die Fälle, in denen dem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz nicht entsprochen wurde, sondern ein solcher Antrag zurückgewiesen bzw. abgelehnt wurde (so LSG Schleswig-Holstein, Beschluss v. 22.10.2007, L 4 B 583/07 KA ER).
Rz. 54
Auch der Antrag auf Abänderung einer zusprechenden einstweiligen Anordnung ist grundsätzlich zulässig. Eine derartige Abänderungsmöglichkeit von Eilentscheidungen ist im SGG ausdrücklich zwar nur in § 86b Abs. 1 Satz 4 für Anfechtungssachen vorgesehen; in § 86b Abs. 2 fehlt dagegen eine entsprechende Bestimmung. Dennoch besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass auch bei zusprechenden einstweiligen Anordnungen, die der formellen und materiellen Rechtskraft fähig sind (vgl. hierzu LSG Baden-Württemberg Beschluss v. 8.9.2010, L 7 SO 3038/10 ER-B, m. w. N.), dem im Einzelfall bestehenden Bedürfnis nach Aufhebung oder Abänderung aus Gründen der Effektivität des Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) Rechnung zu tragen ist (vgl. LSG Berlin, Beschluss v. 10.7.2002, L 15 B 39/02 KR ER, NZS 2002 S. 670; Beschluss v. 26.10.2004, L 15 B 88/04 KR ER; LSG Bayern, Beschluss v. 16.7.2009, L 8 SO 85/09 B ER; Keller, SGG, § 86b Rn. 45). Die mit dem Fehlen eines Abänderungsverfahrens im Bereich der einstweiligen Anordnung bestehende planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes ist über eine analoge Anwendung des § 86b Abs. 1 Satz 4 zu lösen (vgl. LSG Bayern, Beschluss v. 21.12.2010, L 8 SO 249/10 B ER).
Rz. 55
Unter welchen Voraussetzungen ein Abänderungsverfahren durchgeführt werden kann, ist unklar. Das Gesetz verzichtet auf jegliche Vorgaben. Zweck des Abänderungsverfahrens ist es, dem Gericht die Möglichkeit zu geben, Veränderungen, die nach Eintritt der Rechtskraft der Eilentscheidung und vor rechtskräftigem Abschluss des Hauptsacheverfahrens eintreten, Rechnung zu tragen (LSG Baden-Württemberg, Beschluss v. 11.10.2010, L 7 SO 3392/10). Im Rahmen des Abänderungsverfahrens kann die Rechtskraft einer zuvor ergangenen Entscheidung nicht unberücksichtigt bleiben. Eine Abänderung ist deshalb nicht völlig in das Belieben des Gerichts gestellt. Eine Abänderungsbefugnis entsprechend § 86b Abs. 1 Satz 4 ist sonach zu bejahen, wenn nachträglich eingetretene oder bekannt gewordene Umstände den Fall in tatsächlicher Hinsicht in einem neuen Licht erscheinen lassen oder eine Gesetzesänderung oder eine zwischenzeitlich ergangene höchstrichterliche Entscheidung zu einer veränderten Beurteilung der Rechtslage führt (hierzu BFH, Beschluss v. 26.9.2008, VIII B 37/08; vgl. auch Peters/Sautter/Wolff, SGG, § 86b Rn. 46). Darüber hinaus kann die Korrektur einer Eilentscheidung entsprechend § 86b Abs. 1 Satz 4 aber auch dann erfolgen, wenn auf der Grundlage besserer Rechtserkenntnis und der darauf folgenden neuen Prozesslage für die Anpassung an die Entwicklung in der Hauptsache ein Bedürfnis besteht (vgl. BVerwG, Beschluss v. 25.4.1985, 4 C 13/85, Buchholz 310 § 80 VwGO Nr. 45; BVerwG, Beschluss v. 4.7.1988, 7 C 88/87, BVerwGE 80 S. 16; BFH, Beschluss v. 15.9.2010, I B 27/10). Ein bloßer Wandel in der Meinungsbildung – etwa infolge eines Wechsels in der Besetzung des Spruchkörpers oder in der Zuständigkeit des Gerichts – rechtfertigt für sich allein noch nicht eine Änderung der bisher getroffenen Entscheidung (vgl. BVerwG, Beschluss v. 25.4.1985, a. a. O.), denn stehen schon die mit der Rechtskraft einer Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz verbundenen Gesichtspunkte der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens sowie der Gr...