1 Allgemeines

 

Rz. 1

Die Regelungen des § 91 sollen es dem Rechtsschutzsuchenden erleichtern, die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit in Anspruch zu nehmen. Neben den Erleichterungen bei der Einhaltung der Formvorschriften aufgrund der §§ 90, 92 und 93 mildert § 91 die grundsätzlich einzuhaltende Fristbestimmung des § 87 ab. Da § 91 eine Ausnahmeregelung zu § 87 darstellt, bezieht sich die Vorschrift auch nur auf den Anwendungsbereich des § 87. Nur bei den Klagearten, bei denen es auf die Einhaltung der Klagefrist ankommt, kann sich die Ausnahmebestimmung des § 91 auswirken. Zum Anwendungsbereich des § 87 siehe die dortigen Ausführungen.

 

Rz. 2

§ 91 entspricht der nahezu gleichlautenden Bestimmung des § 84 Abs. 2 für die Wahrung der Widerspruchsfrist im Vorverfahren.

§ 91 findet auch Anwendung bei Anträgen in eigenständigen Beschlussverfahren, jedoch nicht bei Anträgen innerhalb eines bereits anhängigen Klageverfahrens. Ebenso scheidet eine analoge Anwendung des § 91 etwa bei Entschädigungsanträgen von Sachverständigen aus, da in einem solchen Fall nicht der Sinn der Regelung verwirklicht werden kann (so das LSG Thüringen, Beschluss v. 8.4.2004, L 6 B 55/03 SF, bei einem Antrag nach dem bis zum 30.6.2004 geltenden ZuSEG).

 

Rz. 3

Da § 91 in der allgemeinen Verweisungsnorm des § 153 Abs. 1 ausdrücklich ausgenommen ist, gilt er nicht für die Wahrung der Berufungsfrist. Das Gleiche gilt über § 165 für das Revisionsverfahren.

2 Rechtspraxis

2.1 Klageerhebung und Wirkung

 

Rz. 4

Die Klage ist auch nach der Regelung des § 91 grundsätzlich bei dem zuständigen Gericht der Sozialgerichtsbarkeit zu erheben. Wo und wie die Klage zu erheben ist, regelt § 90. Das zuständige Gericht der Sozialgerichtsbarkeit ergibt sich aus §§ 29 Abs. 2 bis 4, 39 Abs. 2, 57, 57a und 57b.

 

Rz. 5

§ 91 bestimmt nur die Wahrung der Klagefrist in den abschließend aufgezählten Fällen. Die Klage wird tatsächlich erst mit Eingang bei dem zuständigen Sozialgericht erhoben. Soweit die Klage dort nach Ablauf der Frist des § 87 eingeht, wird nach § 91 der fristgemäße Eingang fingiert, wenn die Klage noch innerhalb der Frist bei einer der aufgeführten Stellen eingegangen ist. Insofern ist es wichtig, dass die im § 91 genannten Stellen ihrer Verpflichtung nach Abs. 2 nachkommen und die Klage auch tatsächlich weiterleiten. Denn ohne eine Weiterleitung durch sie wird die Klage mangels Erhebung nicht rechtshängig i. S. d. § 94. Für den Rechtssuchenden wirkt sich das aber kaum nachteilig aus, weil die Klagefrist in jedem Fall als gewahrt gilt, und zwar auch dann, wenn die Klageschrift abhanden kommt. Gegebenenfalls könnte es aber zu Beweisproblemen kommen, wenn sich der Eingang der Klage bei der unzuständigen Stelle nicht nachweisen lässt. Die Problematik entspricht jedoch derjenigen bei unmittelbarer Erhebung der Klage beim zuständigen Gericht.

 

Rz. 6

Zusätzliche Probleme können allerdings dadurch entstehen, dass sich die Zuständigkeit des Gerichts zwischen dem Absetzen der Klageschrift und dem Eingang der Klageschrift beim zuständigen Sozialgericht geändert haben könnte. Dies kommt in erster Linie im Falle eines Wohnsitzwechsels in Betracht. Die Behörde leitet die Klageschrift lediglich an das bezeichnete Gericht weiter, sie hat insoweit kein Prüfungsrecht. Das angegangene Gericht muss dann von Amts wegen seine Zuständigkeit überprüfen und den Kläger ggf. darauf hinweisen, dass es nicht (mehr) zuständig ist. Sodann hat es den Rechtsstreit an das zuständige Gericht zu verweisen, § 98 SGG i. V. m. § 17b GVG. Lässt sich weder im Inland noch im Ausland ein Wohn-, Aufenthalts- oder Beschäftigungsort feststellen, ist entsprechend § 16 ZPO das für den letzten Wohnsitz zuständige Sozialgericht zu verweisen (LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 31.8.2010, L 13 R 3865/09, juris).

 

Rz. 7

Die Klagefrist gilt insbesondere auch dann als gewahrt, wenn die angegangene Stelle dem Rechtssuchenden die Klageschrift wieder zurückreicht, weil sie sich nicht für zuständig hält. Ein solches rechtswidriges Verhalten kann nicht dem Kläger zugerechnet werden. Anders stellt sich der Fall jedoch dar, wenn er die Klageschrift zunächst mit der Bitte um Weiterleitung bei der unzuständigen Stelle eingereicht hat, vor Weiterleitung an das zuständige Gericht dieses Ersuchen aber zurücknimmt und ihm die Klageschrift daher wieder ausgehändigt wird. Die zunächst eingetretene Wirkung der Fristwahrung durch den Eingang der Klageschrift bei der unzuständigen Stelle wird dadurch wieder aufgehoben, ähnlich wie bei der Rücknahme eines Antrags.

2.2 Eingang der Klageschrift

 

Rz. 8

§ 91 stellt auf den Eingang der Klageschrift bei einer der aufgeführten Stellen ab. Es genügt demnach, wenn die Klageschrift in die Verfügungsgewalt der angegangenen Behörde gelangt ist. Unerheblich ist die Art und Weise, wie dies geschehen ist, also insbesondere ob die eigentliche Klageschrift in einem besonderen Umschlag für das zuständige Gericht enthalten ist oder nicht. Maßgebend ist, ob erkennbar ist, dass die Klageschrift an das zuständige Gericht abgegeben werden soll. Im Zweifelsfall muss im Wege der Auslegung ermittelt wer...

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