1 Allgemeines
Rz. 1
Die Beschwerde ist ein Rechtsmittel, d. h. sie hat Devolutiv- und Suspensiveffekt. Das Beschwerdegericht überprüft die angefochtene Entscheidung in sachlicher und rechtlicher Hinsicht. Beschwerdegericht ist i. d. R. das LSG (§ 176). Die Entscheidungen des LSG sind grundsätzlich nicht beschwerdefähig (§ 177). Ausnahme: Das BSG entscheidet über die weitere sofortige Beschwerde gemäß § 17a Abs. 4 Satz 2 und 5 GVG (hierzu BSG, Beschluss v. 11.8.1994, 3 BS 1/93, SozR 3-1500 § 51 SGG Nr. 13; BSG, Beschluss v. 8.8.1996, 3 BS 1/96, SozR 3-1500 § 51 SGG Nr. 19), wenn das LSG bei Entscheidungen über den Rechtsweg die weitere Beschwerde an das BSG zulässt (vgl. LSG NRW, Beschluss v. 17.10.2000, L 10 B 3/00 V). Der Devolutiveffekt trat nach alter Rechtslage grundsätzlich erst ein, wenn das SG der Beschwerde nicht abgeholfen hat; ohne Nichtabhilfeentscheidung durfte das LSG nur ausnahmsweise entscheiden. Das war dann der Fall, wenn das SG der Beschwerde unter keinem denkbaren Gesichtspunkt abhelfen konnte, z. B. im Fall einer (unbegründeten) Beschwerde gegen die Untätigkeit des SG (vgl. LSG NRW, Beschluss v. 20.3.2002, L 10 B 29/01 SB, SGb 2002 S. 734). Das Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes (SGGArbGGÄndG) v. 26.3.2008 (BGBl. I S. 444) hat mit Wirkung zum 1.4.2008 insofern ein Änderung gebracht, als § 174 aufgehoben worden ist. Ein Nichtabhilfeverfahren ist nunmehr nicht mehr durchzuführen. Damit tritt der Devolutiveffekt in dem Augenblick ein, in dem die Beschwerde anhängig wird.
Rz. 2
Die Nichtzulassungsbeschwerde zum LSG (§ 145) und zum BSG (§ 160a) ist Rechtsmittel sui generis. Die aufschiebende Wirkung tritt unter den Voraussetzungen des § 175 ein.
Rz. 2a
Die Beschwerde setzte eine Beschwer voraus (vgl. vor § 143). Sie muss sich gegen eine beschwerdefähige Entscheidung richten. Nicht beschwerdefähig sind Urteile (§ 172 Abs. 1), Gerichtsbescheide (§ 105 Abs. 2 Satz 1), die Entscheidungen des LSG in den Grenzen des § 177, die Entscheidungen des BSG (arg.e.c. § 172 Abs. 1, § 177) sowie die in § 172 Abs. 2 genannten prozessleitenden Verfügungen und Entscheidungen. Daneben ist die Beschwerde in einer Reihe von Fällen durch Sondervorschriften ausgeschlossen (z. B. § 67 Abs. 4 Satz 2; § 75 Abs. 3 Satz 3; § 98 Satz 2; § § 172 Abs. 3). Die Beschwerde eines Beigeladenen, der nur im Innenverhältnis Kosten eines anderen Beteiligten (hier: Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen als Beklagter und Kostenerstattungspflichtiger nach § 193) zu tragen hat, ist unzulässig (LSG Berlin, Beschluss v. 2.12.1996, L 7 Ka-S 50/96, Breithaupt 1997 S. 728, 729).
Das SGG kennt im Gegensatz zur ZPO keinen Beschwerdewert. Dennoch folgt ein solcher aus Spezialmaterien. So ist Beschwerde gegen die Festsetzung der Vergütung, der Entschädigung oder eines Vorschusses (§ 4 Abs. 1 JVEG) nur statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200,00 EUR übersteigt (§ 4 Abs. 3 JVEG; so auch § 68 GKG für die Streitwertbeschwerde).
Rz. 2b
Zur Anhörungsrüge vgl. die Kommentierung zu § 178a sowie Treber, NJW 2005 S. 97, Frehse, SGb 2005 S. 265).
2 Rechtspraxis
2.1 Abgrenzung zu Erinnerung/Gegenvorstellung/Dienstaufsichtsbeschwerde
Rz. 3
Die Erinnerung (§ 178) ist mangels Devolutiveffekts kein Rechtsmittel und damit auch keine Beschwerde. Die Gegenvorstellung ist ein formloser Rechtsbehelf, auf eine Änderung der Entscheidung durch dieselbe Instanz gerichtet und damit auch kein Rechtsmittel (hierzu BSG, Beschluss v. 29.5.1991, 4 RA 12/91, SozR 3-1750 § 318 ZPO Nr. 1; BSG, Beschluss v. 16.8.2000, B 6 SF 1/00 R; eingehend hierzu auch LSG NRW, Beschluss v. 30.3.2001, L 10 B 1/01 SB; vertiefend Frehse, SGb 2005 S. 265, 266 sowie die Kommentierung zu § 178a Rz. 8, § 172 Rz. 14 f. und vor § 143 Rz. 2a). Die Dienstaufsichtsbeschwerde ist gleichermaßen kein förmlicher Rechtsbehelf, sondern der Antrag an den Dienstvorgesetzten, Maßnahmen der Dienstaufsicht einzuleiten. Ihre auch nur mittelbare Wirkung ist zu vernachlässigen. Sie führt i. d. R. nur zu Verfahrensverzögerungen und nicht selten zu rechtlichen Komplikationen, wenn die Dienstaufsicht gegenüber dem Beschwerdeführer zum Verfahrensgang Stellung nimmt, ohne die durch § 26 DRiG vorgeschriebene Zurückhaltung zu wahren (hierzu eingehend LSG NRW, Beschluss v. 22.2.2010, L 11 AR 140/09 AB). Bestehen zwischen Gericht und Dienstaufsicht Meinungsverschiedenheiten darüber, ob eine Eingabe als ordentlicher/außerordentlicher Rechtsbehelf oder als Dienstaufsichtsbeschwerde zu werten ist, ist die Ansicht des Gerichts maßgebend (Frehse, SGb 2005 S. 265, 267; Kissel/Mayer, GVG, 4. Aufl. 2005, § 12 Rn. 129).
2.2 Änderungen des Beschwerderechts durch das Zivilprozessreformgesetz
Rz. 4
Bis zum 1.1.2002 galten über § 202 SGG von den §§ 567 bis 577a ZPO u. a. §§ 570, 572 Abs. 3, 574, 575, 577a ZPO; nicht anwendbar war grundsätzlich § 567 Abs. 2 ZPO. Durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses v. 27.7.2001 (BGBl. I S. 1887) sind die Beschwerdevorschriften der ZPO grundlegend umgestaltet worden. Grundnorm war § 567 ZPO a. F.; darin waren die Zulässigkeitsvoraussetzungen für die "einfache" Beschwerde geregelt. Daneben sah § 577 ZPO a. F. die ...