Rz. 8
Zuständig für die Beratung ist der für das Anliegen des Ratsuchenden zuständige Leistungsträger. Das ist regelmäßig der Leistungsträger, der über den begehrten Anspruch entscheidet oder dem gegenüber der Ratsuchende seine Mitwirkungspflichten zu erfüllen hat. Im Zweifel ist der Leistungsträger beratungspflichtig, der leistungspflichtig wäre, wenn dem Begehren des Ratsuchenden zu entsprechen wäre. Die Beratung ist eine Dienstleistung, die i. d. R.gel als schlicht hoheitliches Verwaltungshandeln anzusehen ist. Der zuständige Leistungsträger kann auch eine dritte Stelle damit beauftragen, seine Beratungspflichten wahrzunehmen. Eine verweigerte Beratung kann nach erfolglosem Widerspruchsverfahren mit einer Leistungsklage angefochten werden. Von Bedeutung ist die fachliche und kommunikative Fähigkeit des Mitarbeiters des Leistungsträgers, um Beratungsleistungen in hoher Qualität zu erbringen, auch mithilfe elektronischer Kommunikation und Heranziehung digitaler Möglichkeiten. Das bedingt einerseits eine gründliche Ausbildung im Fachaufgabengebiet, darüber hinaus aber auch spezielle Qualifizierungen in kommunikativer Hinsicht, etwa Beratungstechniken und Deeskalationstraining.
Rz. 9
In der Verwaltungspraxis wird allgemein zwischen nachgefragter und spontaner Beratung unterschieden. Ein Beratungsanspruch entsteht grundsätzlich nur aufgrund konkreter Nachfrage. I. d. R. besteht keine Verpflichtung, Einzelpersonen von Amts wegen gezielt auf ihren speziellen Einzelfall hin zu beraten und zu belehren (BSG, Urteil v. 21.5.1980, 7 RAr 31/79). Der Bürger muss sein Anliegen vortragen und den Sozialleistungsträger um Beratung bitten. Gegen oder ohne seinen Willen sollen ihm keine Ratschläge zuteilwerden. Die Sozialleistungsträger sind lediglich zum Hinweis auf Gestaltungsmöglichkeiten verpflichtet, die klar zutage liegen und deren Wahrnehmung offenbar so zweckmäßig ist, dass jeder Versicherte sie mutmaßlich nutzen würde, um sozialrechtliche Nachteile zu vermeiden (BSG, Urteile v. 9.12.1982, 7 RAr 35/82; v. 16.9.1998, B 11 AL 17/98 R). Dies ergibt sich auch aus der Obhutspflicht des Leistungsträgers, die aus dem Sozialrechtsverhältnis erwächst und deren Rechtfertigung schon aus § 2 Abs. 2 abzuleiten ist. Das schließt nicht aus, dass Leistungsträger auch ohne Nachfrage des Bürgers initiativ beraten, um die Sozialleistung i. S. v. § 17 effektiv zu erbringen. Die Frage, ob eine Gestaltungsmöglichkeit klar zutage tritt, ist dabei alleine nach objektiven Merkmalen zu beurteilen (LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 22.11.2017, L 5 KR 1672/17, unter Hinweis auf BSG, Urteil v. 8.2.2007, B 7a AL 22/06 R). Aus einem Handeln oder Unterlassen, das der Bürger selbst zu vertreten hat, z. B. eine unterlassene Meldung, kann er keinen Beratungsfehler des Leistungsträgers und im Anschluss daran eigene Ansprüche herleiten. Ein Sozialleistungsträger muss einen Antragsteller auf Gestaltungsmöglichkeiten eines Rechtsverhältnisses auch durch Beseitigung von Formmängeln hinweisen, wenn diese so zweckmäßig sind, dass jeder vernünftige Versicherte sie nutzt (BSG, Urteil v. 25.11.1976, 11 RLw 7/76). Spontanberatungen sind auch angezeigt, wenn ein sozialrechtlich nachteiliges Verhalten durch den Bürger nahe liegt, z. B. Verzichtserklärungen, unwirtschaftliche Bedingungen usw. Dabei muss sich der Leistungsträger unter Umständen vorhalten lassen, dass er solche Sachverhalte nicht erkannt hat, weil er dem Amtsermittlungsgrundsatz nicht oder nur unzureichend nachgekommen ist. Andererseits kann im Bereich der Massenverwaltung ein Sozialleistungsträger nicht von Amts wegen für jeden einzelnen Versicherten eine an alle Eventualitäten angepasste individuelle Beratung vornehmen, sondern lediglich eine solche, die sich aufgrund von konkreten Fallgestaltungen unschwer ergibt (klar zutage liegende Dispositionsmöglichkeiten; BSG, Urteil v. 24.7.2003, B 4 RA 13/03 R). Kennzeichnend für Beratungen sind individuelle Gespräche "unter 4 Augen" mit gezielter Information, die sich an einem zweckmäßigen und rechtmäßigen Verhalten orientiert und eine detailgenauere Auseinandersetzung mit dem Sachverhalt als bei einer Auskunft gewährleistet. Die Spontanberatungspflicht des Sozialleistungsträgers hat nicht zum Inhalt, den Bürger auf alle rechtlich nicht verbotenen Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen. Die Verwaltung muss nicht darauf hinwirken, dass der Bürger innerhalb des sozialen Leistungssystems das jeweils wirtschaftlich Optimale erreicht (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 27.12.2016, L 1 KR 315/15).
Wie dargestellt, sind die Sozialleistungsträger auch unabhängig von einem Beratungsbegehren des Bürgers verpflichtet, bei Vorliegen eines konkreten Anlasses im Rahmen einer Spontanberatung auf klar zutage tretende Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen (BSG, Urteil v. 10.12.2003, B 9 VJ 2/02 R). Die Beratung darf sich demnach nicht auf verlässlich zu erwartende Verlaufsentwicklungen beschränken, vielmehr hat sie sich insbesondere auch auf nicht fernliegende Komplikationen...