Rz. 23
In § 1 Abs. 1 Nr. 4 werden Ausländer angesprochen, die über eine Duldung nach § 60a AufenthG verfügen (LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 22.11.2007, L 7 AY 4504/06). Dieser Personenkreis ist an sich ausreisepflichtig. Es gibt aber Gründe, die der Vollstreckung der Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen entgegenstehen und die es daher rechtfertigen, mit Erteilung einer Duldung die Vollstreckung der Vollziehung der Ausreisepflicht auszusetzen. Dabei geht das Gesetz – vielfach im Widerspruch zu den tatsächlichen Gegebenheiten – davon aus, dass es sich um vorübergehende Gründe handelt.
Angesprochen ist in Abs. 1 Nr. 4 der Personenkreis, dem eine Duldung nach § 60a AufenthG erteilt worden ist. Die Duldung ist die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung, ändert also nichts daran, dass der Ausländer ausreisepflichtig ist. Sie gewährt nach der gesetzlichen Konzeption des AufenthG kein Aufenthaltsrecht, vermittelt dem Ausländer aber eine geschützte Rechtsposition im Sinne eines begünstigenden Verwaltungsaktes (BSG, Urteil v. 17.6.2008, B 8/9b AY 1/07 R), auf den der Ausländer bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen einen Anspruch hat. Aus welchen Gründen die Duldung erteilt wurde oder ob es sich um eine Ermessensentscheidung bzw. eine gebundene Entscheidung handelt, ist für die Anwendung des Abs. 1 Nr. 4 nicht relevant. Durch die umfassende Bezugnahme auf § 60a AufenthG werden sämtliche dort genannten Fälle der Duldung erfasst. Die Gründe für eine Duldung können vielfältig sein. Häufige Gründe sind vorübergehende Reiseunfähigkeit, Problemstellungen im Heimatland für Minderheiten, denen der Ausländer angehört (z. B. für Roma im Kosovo), aber auch Vorwirkungen von Eheschließungen (Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 1 Rz. 7). Auch die ernstliche Gefahr eines Suizids kann zu einer Duldung führen (VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse v. 10.7.2003, 11 S 2622/02, und 2.5.2000, 11 S 1936/99).
Rz. 24
Der Anspruch auf Leistungen nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 ist nicht davon abhängig, dass dem Ausländer die Duldung zu Recht erteilt worden ist (Niedersächsisches OVG, Beschluss v. 1.11.2007, 4 LB 577/07).
Rz. 24a
Die Erteilung einer Duldung entfaltet Tatbestandswirkung, sodass die Sozialgerichte an diese gebunden ist mit der Folge, dass nur Ansprüche nach dem AsylbLG anstelle der Leistungen nach dem SGB II bzw. SGB XII in Betracht kommen, solange dem Ausländer eine Duldung erteilt wurde. Wegen dieser Konsequenz der Erteilung einer Duldung kann der Ausländer diese anfechten, auch wenn die Duldung im Übrigen einen den Charakter eines begünstigenden Verwaltungsaktes hat. Die Möglichkeit der Anfechtung einer Duldung besteht auch für Personen, die nach § 2 AsylbLG leistungsberechtigt sind (Deibel, ZFSH 2012 S. 193).
Rz. 24b
Abs. 1 Nr. 4 ist immer einschlägig, wenn eine Duldung erteilt wurde und zwar auch dann, wenn das der Duldung zugrunde liegende Abschiebungshindernis von Dauer ist (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 17.6.2011, 12 A 1011/10 Rz. 29). Eine analoge Anwendung der Abs. 1 Nr. 4 kommt nicht in Betracht auf Personen, die erst nach Wegfall der Gestattungswirkung einen Aufenthaltstitel beantragen, ihre Leistungsberechtigung folgt vielmehr aus Abs. 1 Nr. 5 (SG Hildesheim, Beschluss v. 30.8.2012, S 42 AY 140/12 ER).