0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Die Vorschrift wurde durch Art. 2 Nr. 5 des Dritten Gesetzes zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Drittes Pflegestärkungsgesetz – PSG III) v. 23.12.2016 (BGBl. I S. 3191) mit Wirkung zum 1.1.2017 neu eingefügt.
1 Allgemeines
Rz. 2
§ 64c regelt einen Anspruch auf Verhinderungspflege. Hierbei handelt es sich um eine Form von häuslicher Pflege (vgl. auch § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1). Nach bis zum 31.12.2016 geltender Rechtslage existierte im Rahmen der Hilfe zur Pflege diesbezüglich keine ausdrückliche Anspruchsgrundlage. Allerdings konnten entsprechende Leistungen über § 65 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 a. F. gewährt werden. Eine Leistungsausweitung ist gegenüber der bisherigen Rechtslage nicht vorgesehen.
Rz. 3
Dem Inhalt nach entspricht der Anspruch den Regelungen in § 39 Abs. 1 SGB XI. Die Vorschrift trägt dem Umstand Rechnung, dass eine andauernde Pflege für die Pflegeperson mit erheblichen körperlichen und psychischen Belastungen verbunden sein kann. Sie will verhindern, dass der Pflegebedürftige im Falle der vorübergehenden Verhinderung der Pflegeperson stationär gepflegt werden muss.
Rz. 4
Nach der Gesetzesbegründung kommt es – anders als im SGB XI (vgl. § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB XI) – nicht darauf an, dass der Pflegebedürftige vor Inanspruchnahme der Verhinderungspflege eine bestimmte Mindestpflegezeit von der Pflegeperson gepflegt wurde. Werden Leistungen der Verhinderungspflege in Anspruch genommen, kann gemäß § 63b Abs. 5 das Pflegegeld um bis zu zwei Drittel gekürzt werden. Gegenüber Leistungen nach dem SGB XI ist die Verhinderungspflege nach § 64c nachrangig.
2 Rechtspraxis
2.1 Leistungsberechtigter Personenkreis
Rz. 5
Da Pflegebedürftige mit Pflegegrad 1 nur eingeschränkte Leistungen der Hilfe zur Pflege erhalten und die Verhinderungspflege nicht in die abschließende Aufzählung in § 63 Abs. 2 aufgenommen wurde, erhalten nur Personen mit Pflegegrad 2 oder höher Leistungen der Verhinderungspflege. Besteht bei pflegebedürftigen Personen, die die Schwelle des Pflegegrades 2 nicht erreichen, ein entsprechender Bedarf an Verhinderungspflege, muss der Ersatz ggf. mittels des Entlastungsbetrags aus § 66 finanziert oder über andere Vorschriften – zu denken ist z. B. an §§ 70, 73 SGB XII – sichergestellt werden (vgl. Meßling, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, § 64c Rz. 10).
2.2 Verhinderung der Pflegeperson
Rz. 6
§ 64c bestimmt, dass, wenn eine Pflegeperson im Sinne von § 64 aus wichtigem Grund vorübergehend an der häuslichen Pflege gehindert ist, die angemessenen Kosten einer notwendigen Ersatzpflege zu übernehmen sind. Als wichtige Gründe nennt das Gesetz Erholungsurlaub, Krankheit oder sonstige Gründe. Die Aufzählung ist somit nicht abschließend.
Rz. 7
Die Verhinderung muss nicht für eine bestimmte (Mindest-)Dauer bestehen, grundsätzlich kann ein Anspruch auf Verhinderungspflege auch bei einer nur stundenweisen Verhinderung der Pflegeperson bestehen (vgl. BSG, Urteil v. 20.4.2016, B 3 P4/14 R). Ist die Pflegeperson jedoch länger als nur vorübergehend an der Pflege gehindert, liegt schon nach dem Wortsinn keine "Verhinderungspflege" mehr vor. Dann muss über Alternativen hinsichtlich der Organisation der Pflege nachgedacht werden. Anders als das SGB XI in § 39 Abs. 1 Satz 1 ist die Verhinderungspflege nach dem SGB XII nicht auf die Dauer von 6 Monaten je Kalenderjahr beschränkt.
Rz. 8
Anspruch auf Verhinderungspflege besteht nicht, wenn die Pflege durch einen Pflegedienst durchgeführt wird, sondern nur im Falle einer Pflege durch dem Pflegebedürftigen nahestehende Personen oder im Rahmen der Nachbarschaftshilfe (Pflegeperson i. S. d. § 64).
2.3 Notwendige Ersatzpflege
Rz. 9
Aus dem Gesetz ergibt sich nicht, in welcher Form Verhinderungspflege zu leisten ist. Hier dürfte eine weite Auslegung geboten sein. Die Verhinderungspflege muss nicht in der häuslichen Umgebung des Pflegebedürftigen durchgeführt werden (vgl. Wahl, in: Udsching/Schütze, SGB XI, § 39 Rz. 9). Es gilt vielmehr ein erweiterter Häuslichkeitsbegriff, wonach die Durchführung der Ersatzpflege beispielsweise in einem Heim, einem Internat, einer Schule, einem Krankenhaus, einer Krankenwohnung oder einer Einrichtung für Behinderte möglich ist (vgl. Leitherer, in: KassKomm SGB XI, § 39 Rz. 15). Auch an die Ersatzpflegeperson sind keine festgeschriebenen Anforderungen zu stellen, grundsätzlich kommt jede geeignete und bereite Person in Frage.
2.4 Angemessene Kosten
Rz. 10
Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen vor, sind die angemessenen Kosten der notwendigen Ersatzpflege zu übernehmen. Bei der Angemessenheit der Kosten handelt es sich um einen gerichtlich voll überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff.
2.5 Vorrang, Nachrang und Anrechnung
Rz. 11
Gegenüber der Kurzzeitpflege nach § 64h (als Form der stationären Pflege) ist die Verhinderungspflege (als Form der häuslichen Pflege) vorrangig. Nachrang besteht gegenüber der Verhinderungspflege nach § 39 SGB XI. Erhalten Pflegebedürftige Leistungen der Verhinderungspflege, kann das Pflegegeld gemäß § 63b Abs. 5 um bis zu zwei Drittel gekürzt werden.
3 Literatur
Rz. 12
Marburger, Die Auswirkungen des Pflegestärkungsgesetz III, Behindertenrecht 2017 S. 58.