Rz. 29
Wenn auch eine der besonderen Aufgaben der Eingliederungshilfe darin besteht, den behinderten Menschen so weit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen (§ 53 Abs. 3 a.E.; vgl. Komm. dazu), so umfasst die Eingliederungshilfe - abgesehen von der Sondervorschrift des § 55 - keine Leistungen der Hilfe zur Pflege. Die Unterscheidung dieser beiden sozialhilferechtlichen Hilfearten richtet sich nach deren jeweils unterschiedlichen Zweck und Ziel (Fichtner/Wenzel, a.a.O., vor § 39 Rz. 33). Wesensmerkmal der Eingliederungshilfe ist die Veränderung oder Erleichterung eines bestehenden Zustandes durch Förderung des behinderten Menschen und die dadurch sich verbessernde Teilhabe und soziale Eingliederung. Bei der Pflege stehen demgegenüber im Vordergrund die Unterstützung, Beaufsichtigung oder Anleitung bei den gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens (Wendt, ZfSH/SGB 2010 S. 523, 530). Die Hilfe zur Pflege stellt mehr auf Erhaltung und Bewahrung ab, demgegenüber will die Eingliederungshilfe den Zustand des behinderten Menschen zum Besseren verändern. Die Hilfe zur Pflege hat nicht die Aufgabe, die Stellung des Pflegebedürftigen in der Gesellschaft zu verändern (Gruber/Wahrendorf, a.a.O., § 53 Rz. 7, 18, 35). Allerdings steht der Gewährung von Eingliederungshilfe nicht entgegen, dass der Leistungsuchende Leistungen der Pflegeversicherung bezieht (OVG Schleswig, Urteil v. 16.1.2002, 2 L 25/01, FEVS 53 S. 521).
Rz. 30
Die hiernach zu treffende Abgrenzung richtet sich nach den Besonderheiten des Einzelfalles, über das soeben Gesagte hinausgehende weiter konkretisierende Maßstäbe lassen sich kaum aufstellen. Wenn letzte Zweifel sich nicht ausräumen lassen, sollte Eingliederungshilfe geleistet werden.
Rz. 31
Die Abgrenzung zwischen der sozialhilferechtlichen Eingliederungshilfe und den sozialversicherungsrechtlichen Leistungen der Pflegeversicherung ist demgegenüber gesetzlich geregelt, und zwar wie folgt:
Rz. 32
§ 13 SGB XI Verhältnis der Leistungen der Pflegeversicherung zu anderen Sozialleistungen
…
(3) Die Leistungen der Pflegeversicherung gehen den Fürsorgeleistungen zur Pflege nach dem Zwölften Buch, …vor. Leistungen zur Pflege nach diesen Gesetzen sind zu gewähren, wenn und soweit Leistungen der Pflegeversicherung nicht erbracht werden oder diese Gesetze dem Grunde oder der Höhe nach weitergehende Leistungen als die Pflegeversicherung vorsehen. Die Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach dem Zwölften Buch, dem Bundesversorgungsgesetz und dem Achten Buch bleiben unberührt, sie sind im Verhältnis zur Pflegeversicherung nicht nachrangig; die notwendige Hilfe in den Einrichtungen nach § 71 Abs. 4 ist einschließlich der Pflegeleistungen zu gewähren.
Rz. 33
Mit dem Achten Buch ist das Recht der Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII), mit dem Zwölften Buch ist das Recht der Sozialhilfe (SGB XII) gemeint. Einrichtungen nach § 71 Abs. 4 SGB XI sind stationäre Einrichtungen, in denen die Leistungen zur medizinischen Vorsorge, zur medizinischen Rehabilitation, zur Teilhabe am Arbeitsleben oder am Leben in der Gemeinschaft, die schulische Ausbildung oder die Erziehung kranker oder behinderter Menschen im Vordergrund des Zweckes der Einrichtung stehen, sowie Krankenhäuser; diese sind keine Pflegeeinrichtungen i.S.d. Pflegeversicherungsgesetzes.
Rz. 34
Die Vorschrift erschien deshalb erforderlich, weil bis zum Inkrafttreten des SGB XI in den Einrichtungen der Behindertenhilfe - soweit im Einzelfall erforderlich - zusätzlich zur Eingliederungshilfe auch die notwendige pflegerische Leistung erbracht wurde. Dabei war eine besondere Kostenübernahmebestätigung, die ausdrücklich auch auf die pflegerischen Leistungen im Einzelfall Bezug nahm, nicht erforderlich. Vielmehr oblag es den Pflegesatzverhandlungen zwischen Einrichtungsträger und Sozialhilfeträger, Vereinbarungen über Inhalt, Umfang und Qualität der Leistungen sowie über die dafür zu entrichtenden Entgelte zu treffen. Im Rahmen dieser Vereinbarungen wurde auch Einigung über die Personalstruktur erzielt, hierbei waren dann auch die pflegerischen Anteile nach Inhalt und Umfang zu bestimmen. Da für beide Bereiche - dem der Eingliederungshilfe und dem der Hilfe zur Pflege - nur ein Kostenträger zuständig war, nämlich der Sozialhilfeträger, kam es abrechnungstechnisch nicht darauf an, beide Leistungsbestandteile (Eingliederungshilfe und Hilfe zur Pflege) zu trennen. Sie firmierten gemeinsam unter dem Tatbestand der Hilfe in besonderen Lebenslagen nach dem BSHG mit den Einzelleistungstatbeständen in individuell unterschiedlicher Ausprägung der Eingliederungshilfe (innerhalb dieser wiederum differenziert nach medizinischen, heilpädagogischen oder sonstigen Maßnahmen) und der Hilfe zur Pflege.
Rz. 35
Das Dazwischentreten der Pflegeversicherung als vorrangigem Sozialleistungsträger i.S.d. § 2 BSHG (§ 2 SGB XII) hatte zur Folge, dass für den pflegerischen Teil der Gesamthilfe ein besonderer Sozialleistungsträger, nämlich...