Rz. 36
Wie praktisch alle Anspruchssysteme, unterscheidet auch das Sozialrecht grundsätzlich zwischen dem Entstehen eines Anspruchs und seiner Fälligkeit. Nach § 40 Abs. 1 SGB I entsteht der Anspruch, sobald die im Gesetz oder aufgrund des Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen. Das gilt in dieser Form jedoch nur für Muss-Leistungen. Für Ermessensleistungen enthält § 40 Abs. 2 SGB I dagegen eine Sondervorschrift (zur Anwendbarkeit im Sozialhilferecht vgl. auch Giese, ZfSH/SGB 1988 S. 8). Sie entstehen in dem Zeitpunkt, in dem die Entscheidung über die Leistung bekannt gegeben wird, es sei denn, dass in der Entscheidung ein anderer Zeitpunkt bestimmt wird. Der Anspruch auf eine konkrete Leistung, deren Gewährung oder Ausgestaltung im Ermessen der Behörde liegt, entsteht damit erst, wenn die Behörde ihre Entscheidung über den konkreten Anspruchsinhalt in Form eines Verwaltungsaktes (§ 31 SGB X) erlassen hat und dieser dem Leistungsberechtigten zugegangen ist. Bis dahin beschränkt sich der Anspruch darauf, dass die Behörde die erforderliche ermessensfehlerfreie Entscheidung trifft. Für die Fälligkeit des Anspruchs gilt dagegen § 41 SGB I. Soweit danach die besonderen Teile des SGB keine Regelungen enthalten, werden Ansprüche auf Sozialleistungen mit ihrem Entstehen fällig.
Rz. 37
Die Übertragung dieser Vorschriften auf das Sozialhilferecht bereitet Schwierigkeiten wegen der Vorschrift in § 18 Abs. 1. Danach setzt die Sozialhilfe ein, sobald dem Sozialhilfeträger oder einer ihm zuzurechnenden Stelle bekannt wird, dass die Voraussetzungen für die Leistung vorliegen. Zwar ist diese Bestimmung in erster Linie als spezielle Fälligkeitsregelung zu verstehen (vgl. Komm. zu § 18), doch hat sie auch Rückkoppelungen auf das Entstehen des Sozialhilfeanspruchs, weil ein Anspruch nur fällig sein kann, wenn er spätestens im Zeitpunkt seiner Fälligkeit auch entstanden ist. Da § 18 Abs. 1 zumindest voraussetzt, dass die Voraussetzungen für die Leistung vorliegen, besteht keine Kollision zu dem auf Muss-Leistungen zugeschnittenen § 40 Abs. 1 SGB I. Problematisch ist aber das Verhältnis zu § 40 Abs. 2 SGB I. Denn § 18 Abs. 1 spricht nicht davon, dass für die Entstehung des Anspruchs die Bekanntgabe der Verwaltungsentscheidung erforderlich ist.
Rz. 38
Mithin ist davon auszugehen, dass der Anspruch auf Sozialhilfe bei Muss-Leistungen immer dann entsteht, wenn die gesetzlichen Leistungsvoraussetzungen erfüllt sind (§ 40 Abs. 1 SGB I). Bei Ermessensleistungen ist weiter erforderlich, dass dies der Behörde oder einer ihr zuzurechnenden Stelle auch bekannt ist (§ 18 Abs. 1). Mit dem Bekanntwerden der betreffenden Umstände wird der Anspruch – gleich ob Muss-, Soll- oder Kann-Leistung – gleichzeitig fällig.
Rz. 39
In jedem Fall hat der Sozialhilfeträger allerdings über den Anspruch durch Verwaltungsakt i. S. v. § 31 SGB X zu entscheiden.
Rz. 40
Der Bewilligungsbescheid begründet den Anspruch auf Sozialhilfe unter Umständen auch dann, wenn die Leistungsvoraussetzungen nicht vorliegen, er also rechtswidrig ist. Das gilt grundsätzlich jedenfalls ab dem Zeitpunkt seiner Unanfechtbarkeit (vgl. § 77 SGG). Voraussetzung ist lediglich, dass er wirksam ist, wobei die Wirksamkeit in der Regel mit der Bekanntgabe eintritt (§ 39 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Das gilt auch für rechtswidrige Bescheide, es sei denn, sie leiden unter einem so schwerwiegenden Fehler, dass sie nichtig sind (vgl. § 40 SGB X; zu der Möglichkeit des Sozialhilfeträgers, sich von rechtswidrigen Bewilligungsbescheiden wieder zu lösen, vgl. Rz. 50 ff.).
Rz. 41
Um eine gerichtliche Nachprüfung der Ermessensentscheidung zu ermöglichen, ist die Behörde verpflichtet, ihre Entscheidung zu begründen (§ 35 Abs. 1 SGB X). Dabei sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe sowie die Gesichtspunkte mitzuteilen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist (vgl. hierzu im Einzelnen die Kommentierung zu § 35 SGB X).
Rz. 42
Der Anspruch erlischt einerseits durch Erfüllung. Bei Muss-Leistungen ist Voraussetzung, dass die Leistung so erbracht wird, wie sie gesetzlich geschuldet ist. Bei Ansprüchen auf ermessensfehlerfreie Entscheidung tritt Erfüllung dadurch ein, dass die Behörde eine Entscheidung trifft, die inhaltlich frei von Ermessensfehlern ist. Im Ergebnis kann damit auch eine Ablehnung des Leistungsantrags zur Erfüllung führen, soweit sie von einwandfreien Ermessenserwägungen getragen ist.
Rz. 43
Der Anspruch kann außerdem untergehen durch ein sog. Erfüllungssurrogat. Gesetzlich ausdrücklich geregelt ist insoweit die Aufrechnung gemäß § 26 (vgl. im Einzelnen die Komm. dort).
Rz. 44
Kein Problem der Erfüllung, sondern vielmehr des Nachrangs der Sozialhilfe ist die Befriedigung des Bedürfnisses durch Dritte, weil nach § 2 Abs. 1 Sozialhilfe nicht erhält, wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere Angehörigen oder anderen Sozialleistungsträgern erhält. Allerdings hindert die Leistung Dritter nicht die Entscheidung über die (nachträgliche) Gewähr...