Rz. 27
Absatz 2 konkretisiert den Nachranggrundsatz des § 2 Abs. 1 für den Anspruch auf Sozialhilfe im Ausland. Danach werden Leistungen nach Abs. 1 Satz 2 nicht erbracht, soweit sie von dem hierzu verpflichteten Aufenthaltsland oder von anderen erbracht werden oder zu erwarten sind. Zu den "anderen" in diesem Sinne zählen vor allem Wohlfahrtsverbände, private Dritte oder andere deutsche Sozialleistungsträger (Bieback, in: Grube/Wahrendorf, a. a. O., § 24 Rz. 28).
Rz. 28
Neben eigenem Einkommen und Vermögen des Hilfesuchenden sind daher auch Ansprüche auf Sozialleistungen bzw. die Möglichkeit eines Bezugs anderer vergleichbarer Leistungen im Aufenthaltsstaat zu berücksichtigen. Das Gesetz stellt klar, dass zwischen diesen Leistungen und der deutschen Sozialhilfe kein Wahlrecht besteht (vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 10.11.2014, L 20 SO 484/11; LSG Bayern, Urteil v. 28.1.2014, a. a. O.). Soweit § 119 Abs. 3 Satz 2 BSHG den Vorrang der Heimführung vorsah, ist dies wegen der Neuregelung des Abs. 1 nicht mehr erforderlich (vgl. BT-Drs. 15/1761 S. 6).
Rz. 29
Der Rechtsgrund, aus dem das Aufenthaltsland Leistungen erbringt, ist unerheblich. Es muss sich insbesondere nicht um eine Fürsorgeleistung handeln. Leistungen gehen daher der deutschen Sozialhilfe auch dann vor, wenn sie auf Eigenleistungen des Hilfebedürftigen, z. B. auf Ansprüchen aus eigener Beitragsleistung finanzierten privaten oder sozialen Versicherungen, beruhen. Ebenso kommt es nicht darauf an, ob die Leistungspflicht aus innerstaatlichem Recht oder aus zwischenstaatlichen Vorschriften abzuleiten ist.
Rz. 30
Mit dem Begriff "soweit" stellt der Gesetzgeber klar, dass der Vorrang der anderweitigen Leistung nur so weit reicht, wie diese erbracht wird oder zu erwarten ist. Die Leistung muss dabei der Sicherung des Existenzminimums im Aufenthaltsland dienen bzw. eine solche ermöglichen.
Rz. 31
Vorrang haben u. a. die nach § 5 Konsulargesetz v. 11.9.1974 (BGBl. I S. 2317), zuletzt geändert durch Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch v. 27.12.2003 (BGBl. I S. 3022), zu gewährenden Leistungen (vgl. dazu HessLSG, Beschluss v. 3.3.2006, L 7 SO 38/05 ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 30.6.2005, L 23 B 109/05 SO ER, FEVS 57 S. 177).
Rz. 32
Eine anderweitige Sicherstellung i. S. v. Abs. 2 ist außerdem zu sehen im Europäischen Fürsorgeabkommen v. 11.121953 (BGBl. II 1956 S. 563) mit Änderungen sowie im Deutsch-Österreichischen Fürsorgeabkommen v. 17.1.1966 (BGBl. II 1969 S. 1). Die Deutsch-Schweizerischen Fürsorgevereinbarung v. 14.7.1952 (BGBl. II 1953 S. 31, 129; II 1954 S. 779) ist zum 31.3.2006 außer Kraft getreten (BT-Drs. 16/2711 S. 13).
Rz. 33
Grundsätzlich ist es erforderlich, dass die Leistungen tatsächlich erbracht werden. Dagegen reicht es nicht aus, dass der Hilfebedürftige nach den genannten Vorschriften einen Rechtsanspruch auf die benötigte Leistung hat, solange diese nicht auch realisiert wird. Allerdings lässt Abs. 2 es ausreichen, dass die Leistungen zu erwarten sind. Das ist der Fall, wenn die Leistungen hinreichend wahrscheinlich sind, d. h. sich konkret abzeichnen. Bei der Frage, ob Leistungen des Aufenthaltsstaates zu erwarten sind, bedarf es einer gerichtlich voll überprüfbaren Prognoseentscheidung (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 10.11.2014, L 20 SO 484/11; Coseriu, a. a. O., § 24 Rz. 51). Zur Feststellung bietet sich insbesondere die Zusammenarbeit mit den deutschen Dienststellen im Ausland an (Abs. 6). Lehnt die öffentliche Stelle des Aufenthaltsstaates Leistungen ab, sind solche – auch wenn zuvor vom deutschen Sozialhilfeträger eine andere Prognose angestellt wurde – bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen des § 24 zu erbringen (vgl. Coseriu, a. a. O., § 24 Rz. 52). Der Hilfebedürftige kann grundsätzlich nicht darauf verwiesen werden, sich zunächst im Aufenthaltsstaat gerichtlich gegen die ablehnende Entscheidung zu wehren. Erfüllt sich die Erwartung der Leistungsgewährung durch das Aufenthaltsland nicht, hat der deutsche Sozialhilfeträger grundsätzlich auch rückwirkend einzutreten, wobei maßgeblich regelmäßig der Zeitpunkt der Ablehnung durch die öffentliche Stelle des Aufenthaltslandes ist und nicht der der Antragstellung. Hat der Hilfebedürftige allerdings Leistungen, auf die er im Aufenthaltsland einen Anspruch hat, noch nicht einmal beantragt, greift der Ausschluss des Abs. 2 (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 9.3.2011, L 12 SO 634/10 B ER).