0 Rechtsentwicklung

 

Rz. 1

Die Bestimmung wurde mit Art. 1 des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch v. 27.12.2003 (BGBl. I S. 3022) eingeführt, trat am 1.1.2005 (Art. 70 Abs. 1 des genannten Gesetzes) in Kraft und gilt seither unverändert. Sie übertrug § 77 BSHG im Wesentlichen inhaltsgleich in das SGB XII; die Übergangsregelung des vormaligen § 77 Abs. 1 Satz 2 BSHG (sog. Mainzer Kombilohn-Modell) verortete der Gesetzgeber in § 131 (BT-Drs. 15/1514 S. 65 zu § 78). Allerdings wurde das Mainzer Modell, das am 1.3.2002 bundesweit startete, schon am 31.3.2003 wieder eingestellt; Förderungen konnten längstens bis zum 31.12.2006 erfolgen. Konsequenterweise hat der Gesetzgeber die Regelungen zum Mainzer Modell ab dem 1.1.2011 aus dem SGB XII gestrichen.

1 Allgemeines

 

Rz. 2

Die Vorschrift schränkt das berücksichtigungsfähige Einkommen i. S. v. § 82 weiter ein. Zweckbestimmte öffentlich-rechtliche Leistungen sollen für den jeweiligen Zweck und nicht für die andersartigen Maßnahmen der Sozialhilfe herangezogen werden (zum BSHG: BVerwG, Urteile v. 16.5.1974, V C 46.73, und v. 12.4.1984, 5 C 3/83). Außerdem schließt die Regelung Doppelleistungen aus öffentlichen Mitteln für ein und denselben Zweck aus (zum BSHG: BVerwG, Urteil v. 16.5.1974, V C 46/73). Eine Sonderregelung für Leistungen nach dem Fünften bis Neunten Kapitel enthält § 88 Abs. 1 Nr. 1, dessen Anwendungsbereich gegenüber § 83 Abs. 1 weiter ist. § 88 Abs. 1 Nr. 1 setzt weder voraus, dass die Leistungen aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften, noch dass sie zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden.

 

Rz. 3

Abs. 2 untersagt dem Sozialhilfeträger, private Schadensersatzforderungen nach § 253 Abs. 2 BGB als Einkommen zu berücksichtigen und schwächt damit den Nachrang der Sozialhilfe ab (zum BSHG: OVG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 15.11.2001, 12 A 11164/01).

 

Rz. 4

Das SGB II enthält in § 11a Abs. 3 Satz 1 und Abs. 2 vergleichbare Regelungen.

2 Rechtspraxis

2.1 Leistungen aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften (Abs. 1)

 

Rz. 5

Leistungen aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften sind Zuwendungen, die von Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts aufgrund eines Gesetzes, einer Rechtsverordnung, einer Satzung oder einer Verwaltungsvorschrift (zum BSHG: OVG Lüneburg, Urteil v. 27.10.1989, 4 A 144/88; Giere, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 83 Rz. 5; Lücking, in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 83 Rz. 6; Steimer, in: Mergler/Zink, SGB XII, § 83 Rz. 7) bzw. Förderrichtlinie erbracht werden. Hierzu gehören in erster Linie Sozialleistungen (vgl. § 11 Satz 1 SGB I), nicht jedoch Dienstbezüge von Beamten, Steuervergünstigungen (zum BSHG: OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 13.11.1979, VIII A 80/78) oder Leistungen auf privatrechtlicher Grundlage (zur Aufwandsentschädigung für Teilnahme an Medikamentenstudie: SG Augsburg, Urteil v. 28.10.2010, S 15 SO 113/10). Nicht anwendbar ist die Vorschrift auch auf öffentlich-rechtliche Verträge (Giere, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 83 Rz. 5; Steimer, in: Mergler/Zink, SGB XII, § 83 Rz. 7). Eine Motivationszuwendung für ein Arbeitstraining ist Einkommen, bleibt aber als Zuwendung der Freien Wohlfahrtspflege nach § 84 Abs. 1 anrechnungsfrei, wenn sie durch ein Integrationsunternehmen der Freien Wohlfahrtspflege gezahlt wurde (BSG, Urteil v. 28.2.2013, B 8 SO 12/11 R).

2.2 Ausdrücklich genannter Zweck (Abs. 1)

 

Rz. 6

Die Leistungen müssen für einen ausdrücklich genannten (konkret-individuellen) Zweck gewährt werden (BSG, Urteil v. 11.12.2007, B 8/9b SO 20/06 R). Die Zweckbestimmung muss sich ohne aufwendige Auslegung direkt aus der Vorschrift, ihren Gesetzesmaterialien oder den Leistungsvoraussetzungen i. V. m. dem Kontext der Regelung herleiten lassen; es genügt, wenn sich die Zweckbestimmung in dem bewilligenden Bescheid oder in der Gesetzesbegründung ausdrücklich genannt ist (BSG, Urteil v. 23.3.2010, B 8 SO 17/09 R, Geiger, in: LPK-SGBXII, § 83 Rz. 4; a. A.: Lücking, in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 83 Rz. 7; wohl auch Steimer, in: Mergler/Zink, SGB XII, § 83, Rz. 8; enger: BSG, Urteile v. 3.12.2002, B 2 U 12/02 R, und v. 30.9.2008, B 4 AS 19/07 R; zum BSHG: BVerwG, Urteil v. 12.4.1984, 5 C 3/83). Dabei muss das Wort "Zweck" im Text nicht verwendet werden, die gesetzgeberische Intention kann auch durch Worte wie "zur Sicherung" oder "zum Ausgleich" umschrieben werden (BSG, Urteil v. 23.3.2010, B 8 SO 17/09 R).

 

Rz. 7

Zweckbestimmte öffentlich-rechtliche Leistungen sind nur dann auf die Sozialhilfe anzurechnen, wenn sie demselben Zweck dienen. Diese Zweck­identität liegt vor, wenn beide Leistungen denselben Bedarf decken sollen. Wie sich aus der Formulierung "nur so weit" in Abs. 1 ergibt, kann die Zweckidentität auch nur teilweise bestehen. Nicht als Einkommen zu berücksichtigen sind daher Leistungen, die über die Sicherung des Lebensunterhalts hinausgehen und einen anderen Zweck verfolgen als die im Einzelfall in Frage stehende Sozialhilfe (BSG, Urteil v. 23.03.2010, B 8 SO 17/09 R). Um die Zweck­identität zu prüfen, ist folgendes dreistufiges Programm zu durchlaufen: Zunächst ist zu prüfen, ob sich ein ausdrücklich genannter final...

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