0 Rechtsentwicklung

 

Rz. 1

Die Vorschrift ist nach Art. 70 des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch v. 27.12.2003 (BGBl. I S. 3022) zum 1.1.2005 in Kraft getreten. Sie ersetzt – im Wesentlichen inhaltsgleich – die Vorgängervorschrift des § 90 BSHG. Mit Wirkung zum 7.12.2006 erfolgte durch das Gesetz zur Änderung des SGB XII und anderer Gesetze v. 2.12.2006 (BGBl. I S. 2670) eine Klarstellung: Auch nach Abs. 1 Satz 2 kann wegen Leistungen der Grundsicherung eine Überleitung erfolgen.

Parallelvorschrift im Bereich der Jugendhilfe ist § 95 SGB VIII, bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende § 33 Abs. 1 SGB II; ferner findet § 93 über § 7 Abs. 4 AsylbLG Anwendung.

1 Allgemeines

 

Rz. 2

In § 93 wird den Sozialhilfeträgern die Befugnis eingeräumt, Ansprüche des Leistungsberechtigten und seiner nahen Angehörigen gegen Dritte auf sich zu übertragen, um so einen Gläubigerwechsel zu bewirken (Überleitung). Hierin spiegelt sich einerseits der Grundsatz der Subsidiarität der Sozialhilfe (§ 2), andererseits das Prinzip des Tatsächlichen wider: Grundsätzlich ist die Sozialhilfe nachrangig mit der Folge, dass der Betroffene keinen Sozialhilfeanspruch hat, wenn er – als Bestandteil seines nach §§ 82 ff. einzusetzenden Einkommens oder Vermögens – Ansprüche gegen Dritte hat (Selbsthilfe). Kann die Geltendmachung der zuletzt genannten Ansprüche die Notlage aber – tatsächlich – nicht oder nicht rechtzeitig beseitigen, so besteht ausnahmsweise dennoch Anspruch auf Sozialhilfe. Ist nach Auffassung des Sozialhilfeträgers ein Anspruch gegen einen Dritten gegeben, z. B. ein Schenkungsrückforderungsanspruch, der aber nicht sofort realisierbar ist (z. B. weil der Dritte den Anspruch bestreitet), kann der Sozialhilfeträger Leistungen nicht unter dem Aspekt des in § 2 SGB XII normierten Nachranggrundsatzes ablehnen, da der Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe keine eigenständige Ausschlussnorm darstellt und sich eine Bedürftigkeit lediglich im Zusammenhang mit ergänzenden bzw. konkretisierenden Vorschriften verneinen lässt (vgl. BSG, Urteil v. 2.2.2010, B 8 SO 21/08 R, Rz. 13; vgl. zur Notwendigkeit einer normativen Grundlage bei der Heranziehung von Strukturprinzipien ferner Coseriu, Das "neue" Sozialhilferecht, S. 254, in: Bender/Eicher (Hrsg.), Sozialrecht, eine Terra incognita, Saarbrücken, 2009). Vielmehr sind Leistungen zu bewilligen; der Nachrang kann dann wieder hergestellt werden durch Überleitung des nicht "helfenden" Anspruchs gegen den Dritten (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 28.7.2008, L 20 B 51/08 SO ER, Rz. 52).

In Abs. 1 werden die Voraussetzungen der Überleitung definiert. Unter die Vorschrift fallen nahezu alle privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Ansprüche gegen Dritte, die nicht Leistungsträger nach § 12 SGB I sind.

Abs. 2 regelt das Verfahren für den Anspruchsübergang und die Rechtsfolgen.

Für den Rechtsschutz enthält Abs. 3 eine Sonderbestimmung.

Abs. 4 erklärt den Vorrang der §§ 115, 116 SGB X gegenüber der Überleitung.

2 Rechtspraxis

2.1 Voraussetzungen der Überleitung

 

Rz. 3

Die Überleitung setzt voraus, dass

  • ein überzuleitender Anspruch (möglicherweise) gegeben ist,
  • Leistungen i. S. d. SGB XII erbracht wurden und
  • der Subsidiaritätsgrundsatz beachtet wird.

2.1.1 Überzuleitender Anspruch

 

Rz. 4

Nach § 93 können prinzipiell alle bürgerlich-rechtlichen und öffentlich-rechtlichen Ansprüche übergeleitet werden, soweit nicht speziellere Regelungen einschlägig sind: Für Unterhaltsansprüche nach bürgerlichem Recht enthält zunächst § 94 eine abschließende Sonderbestimmung, wonach diese Ansprüche kraft Gesetzes übergehen. Deswegen ist § 93 für Unterhaltsansprüche nach bürgerlichem Recht nicht anwendbar. Für Kindergeldansprüche sind § 74 EStG, § 46 AO einschlägig. Schließlich darf nach Abs. 1 Satz 1 Drittschuldner (also Schuldner des überzuleitendem Anspruchs) nicht ein Leistungsträger nach § 12 SGB I sein, da für diese die Erstattungsvorschriften der §§ 102 ff. SGB X und §§ 106 ff. SGB XII spezieller sind.

 

Rz. 5

Eine weitere Einschränkung folgt aus der Formulierung in Abs. 1 Satz 1: "bis zur Höhe" der Aufwendungen des Sozialhilfeträgers. Hieraus ergibt sich, dass nur solche Ansprüche überleitungsfähig sind, die auf eine Geldleistung gerichtet sind (OLG Braunschweig, Urteil v. 11.9.1995, 2 W 118/95, FamRZ 1997 S. 27). Damit können beispielsweise folgende Ansprüche Gegenstand einer Überleitung sein:

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