Rz. 32
Die Regelung des Abs. 3 wurde durch Art. 1 Nr. 3, Art. 23 Abs. 1 des 2. SGBÄndG mit Wirkung zum 18.6.1994 neu gefasst. An die Stelle eigenständiger Regelungen über Stundung, Niederschlagung oder Erlass für den Erstattungsanspruch des Abs. 2 wurde i. S. einer dynamischen Verweisung auf die entsprechende Anwendung des § 76 Abs. 2 SGB IV verwiesen.
Rz. 33
Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 12/5187 S. 29) sollte es sich mit der Änderung um eine sprachliche Anpassung handeln. Dies ist jedoch nicht der Fall. Abs. 3 a. F. sah zwingend ("der Erstattungsanspruch ist") vor, dass der Erstattungsanspruch zu stunden ist, wenn die sofortige Einziehung mit erheblichen Härten für den Leistungsempfänger verbunden wäre und der Anspruch durch die Stundung nicht gefährdet wird, niederzuschlagen ist, wenn feststeht, dass die Einziehung keinen Erfolg haben wird oder wenn die Kosten der Einziehung außer Verhältnis zur Höhe des Anspruchs stehen, oder zu erlassen ist, wenn die Einziehung nach Lage des einzelnen Falles für den Leistungsempfänger eine besondere Härte bedeuten würde. Demgegenüber enthält § 76 Abs. 2 SGB IV nur die die Versicherungsträger haushaltsrechtlich ermächtigende und begrenzte Formulierung, dass abweichend vom Grundsatz der vollständigen und rechtzeitigen Geltendmachung von Ansprüchen, davon nur begrenzt ("darf nur") durch Stundung, Niederschlagung und Erlass abgewichen werden darf, soweit die Tatbestände dafür erfüllt sind. Inhaltlich bedeutet dies eine nur nach Ermessen zu treffende Entscheidung über Stundung, Niederschlagung und Erlass von Ansprüchen (so auch Wagner, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, § 42 Rz. 48, Stand: 1.11.2011; Rolfs, in: Hauck/Noftz, SGB I, § 42 Rz. 49, Stand: Juli 2014; Lilge, SGB I, 4. Aufl., § 42 Rz. 88; Mrozynski, SGB I, 5. Aufl., § 42 Rz. 21; a. A. Seewald, in: KassKomm. SGB I, § 42 Rz. 29, Stand: Dezember 2011).
Rz. 33a
Über die Stundung oder den Erlass der Erstattungsforderung wird der berechtigte Sozialleistungsträger erst auf entsprechenden Antrag der Zahlungspflichtigen entscheiden, da ihm die Gründe für eine derartige Maßnahme im Regelfall bei Erlass des Erstattungsbescheides nicht bekannt sind. Bereits nach früherem Recht hatte das BSG (Urteil v. 31.5.1989, 4 RA 19/88, SozR 1200 § 42 Nr. 4) entschieden, dass nicht zugleich mit dem Erstattungsbescheid über Stundung oder Erlass zu entscheiden sei. Dies dürfte erst recht nach der Neuregelung mit dem Verweis auf § 76 Abs. 2 SGB IV gelten. Über einen solchen Antrag hat der Sozialleistungsträger dann eigenständig durch einen Bescheid zu entscheiden, gegen den Widerspruch möglich und der Rechtsweg zur Überprüfung der Ermessensentscheidung eröffnet ist. Eine Entscheidung nach Ermessen ist nur dann möglich, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen der in § 76 Abs. 2 SGB IV verwandten unbestimmten Rechtsbegriffe ("erhebliche Härte" "Unbilligkeit") erfüllt sind.
Rz. 34
Die Stundung ist eine lediglich die Erfüllungs-/Zahlungspflicht hinausschiebende Fälligkeitsabrede, die den ganzen Erstattungsbetrag oder Teilbeträge davon erfassen kann. Sie ist nur und immer dann zulässig, wenn die sofortige Erhebung der Forderung für den Anspruchsgegner mit erheblichen Härten verbunden wäre. Allerdings darf der Anspruch durch die Stundung nicht gefährdet werden. Daher soll sie i. d. R. nur gegen angemessene Verzinsung (§ 76 Abs. 2 Satz 2 SGB IV) und Sicherheitsleistung erfolgen. Hieraus folgt, dass sich die erhebliche Härte gerade aus der an sich bestehenden Verpflichtung zur sofortigen und vollständigen Zahlung des Erstattungsanspruchs ergeben muss. Allein die Belastung mit der Rückzahlungsverpflichtung begründet noch keine erhebliche Härte. Diese kann jedoch vorliegen, wenn kurzfristig keine ausreichenden Geldmittel für die Rückzahlung zur Verfügung stehen und mit der Vermögensverwertung ein unverhältnismäßiger wirtschaftlicher Nachteil verbunden wäre. Die Stundung kann auch zur Vermeidung der erheblichen Härte mit einer Ratenzahlungsvereinbarung verbunden sein, selbst einer solchen, die Raten unterhalb der sonst pfändbaren Beträge vorsieht.
Rz. 34a
Grundsätzlich ist der erstattungsberechtigte Sozialleistungsträger bei einer Stundung zur Erhebung von angemessenen Zinsen verpflichtet ("soll"). Durch die Verzinsungspflicht soll verhindert werden, dass der Erstattungspflichtige durch die Stundung des Erstattungsanspruchs quasi einen zinsfreien Kredit erhielte. Was als angemessene Verzinsung anzusehen ist, lässt der Gesetzestext offen. Ob man hierfür auf § 288 BGB zurückgreifen kann, und statt einer Verzinsung mit 5 Prozentpunkten als angemessen eine solche mit 2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ansehen kann (so Rolfs, in: Hauck/Noftz, SGB I, § 42 Rz. 52, Stand: Juli 2014; Baier, in: Krauskopf, SozKV SGB IV, § 76 Rz. 8, Stand: Juni 2008), erscheint zweifelhaft. Vor dem Hintergrund, dass infolge der Stundung eine Kreditaufnahme zur Rückzahlung des Erstattungsbetrages nicht erforderlich und "eingespart" wird, ist eher auf den aktuellen marktü...