Rz. 32
Einen besonderen Fall der Hemmung stellt die eigens erwähnte Ablaufhemmung dar. Während eines Tatbestandes der Ablaufhemmung läuft die Verjährung dem Grunde nach ungehindert weiter. Ist das Hemmnis vor Ablauf der Verjährungsfrist behoben, tritt daher auch die Verjährung nach der regelmäßigen Verjährungsfrist ein. Besteht das Hemmnis zum Zeitpunkt der sonst eintretenden Verjährung noch, läuft die Verjährungsfrist jedoch nicht ab. Die Ablaufhemmung für die Frage der Verjährung von Sozialleistungen hat Bedeutung bei nicht voll Geschäftsfähigen (§ 210 BGB) und in Nachlassfällen (§ 211 BGB), soweit Sozialleistungsansprüche zu einem Nachlass gehören und im Zusammenhang mit dem Übergang von Sozialleistungsansprüchen auf Sonderrechtsnachfolger oder Erben (vgl. Komm. zu §§ 56 ff.).
Rz. 33
Bei einem nicht voll Geschäfts- oder Handlungsfähigen, der ohne gesetzlichen Vertreter ist, läuft die für oder gegen diesen laufende Verjährung nicht vor Ablauf von 6 Monaten nach dem Zeitpunkt ab, in dem die Person unbeschränkt geschäftsfähig wird oder der Vertretungsmangel behoben wird (§ 210 Abs. 1 Satz 1 BGB). Es muss tatsächlich ein Vertretungsmangel bestehen. Unkenntnis über den gesetzlichen oder bestellten Vertreter oder dessen Hinderung an der Wahrnehmung der Rechte selbst oder Maßnahmen der Verjährungshemmung, weil diesem die Angelegenheit nicht bekannt ist, bewirken keine Ablaufhemmung. Die Ablaufhemmung tritt auch nicht ein, wenn bei einem Minderjährigen Handlungs- oder Prozessfähigkeit nach § 36 oder § 71 Abs. 2 SGG besteht, so dass nur ein geringer praktischer Anwendungsbereich bleibt (so auch Rolfs, in: Hauck/Noftz, SGB I, § 45 Rz. 29, Stand: Juli 2017; Mrozynski, SGB I, 5. Aufl., § 45 Rz. 15; Schifferdecker, in: KassKomm. SGB I, § 45 Rz. 46, Stand: Dezember 2018; a. A. Kretschmer, in: GK-SGB I, 3. Aufl., § 45 Rz. 19, der auch in diesen Fällen wegen des Gedankens der Rechtssicherheit auf Volljährigkeit abstellen will).
Rz. 34
Auch soweit eine erwachsene Person unter Betreuung steht, hat die Regelung des § 210 Abs. 1 Satz 1 BGB für das Sozialrecht nur geringe Bedeutung; denn selbst bei einem Einwilligungsvorbehalt (§ 1903 Abs. 1 BGB) ist dieser selbst zur Geltendmachung seiner Sozialleistungsansprüche in der Lage, da der Einwilligungsvorbehalt nach § 1903 Abs. 3 BGB nicht für Willenserklärungen gilt, die dem Betreuten lediglich einen rechtlichen Vorteil bringen, was bei Sozialleistungen und deren Geltendmachung der Fall ist. In diesem Fall besteht auch Prozessfähigkeit (vgl. BSG, Beschluss v. 20.6.2006, B 9a SB 13/05 B).
Rz. 35
Die Ablaufhemmung besteht auch bei der Verjährung eines Anspruchs, der zu einem Nachlass gehört oder sich gegen einen Nachlass richtet (§ 211 Satz 1 BGB). Im Bereich des Sozialrechts kann dies im Falle des Versterbens des Sozialleistungsberechtigten sein, wenn der Sozialleistungsanspruch in den Nachlass fällt und nicht auf einen Sonderrechtsnachfolger übergeht (vgl. Komm. zu § 56 ff.). In diesen Fällen tritt die Verjährung nicht vor dem Ablauf von 6 Monaten nach dem Zeitpunkt ein, in dem die Erbschaft von dem Erben angenommen oder das Insolvenzverfahren über den Nachlass eröffnet wird oder ab dem Zeitpunkt, ab dem der Anspruch von einem Vertreter (z. B. Nachlassverwalter, Testamentsvollstrecker, Nachlasspfleger) geltend gemacht werden kann.
Rz. 36
Die Ausnahmen für den Ablauf der Hemmung bei kurzen Verjährungsfristen unter 6 Monaten (§§ 210 Abs. 1 Satz 2, 211 Satz 2 BGB) hat für das Sozialleistungsrecht aufgrund der allgemeinen Verjährungsfrist von 4 Kalenderjahren keine Bedeutung.