Rz. 9
Entsprechend der Funktion der Verrechnung, die wie die Aufrechnung Surrogat für die Erfüllung der Geldleistung des leistungspflichtigen Leistungsträgers ist, wird vorausgesetzt, dass dieser zur Verrechnung ermächtigt ist. Nach der gesetzlichen Intention erscheint es so, als habe der leistungspflichtige Träger sich die Ermächtigung zu beschaffen. In der Praxis ist es dagegen so, dass die anspruchsberechtigten Leistungsträger bei dem geldleistungspflichtigen Sozialleistungsträger um Verrechnung ihrer Forderungen gegen den Berechtigten ersuchen. In diesem Verrechnungsersuchen ist die Ermächtigung des geldleistungsberechtigten Leistungsträgers zur Verrechnung enthalten. Das Verrechnungsersuchen wie die Ermächtigung selbst hat gegenüber dem Sozialleistungsberechtigten keine Außenwirkung und kann von diesem nicht unmittelbar angegriffen werden. Das Verrechnungsersuchen vollzieht sich zwischen den Sozialleistungsträgern und ist wegen deren Gleichordnung kein Verwaltungsakt.
Rz. 10
Die Ermächtigung bedeutet inhaltlich, dass der ersuchte Sozialleistungsträger mit Zustimmung des materiell berechtigten Sozialleistungsträgers im eigenen Namen über ein fremdes Recht verfügt (§ 185 BGB), indem er diesen Anspruch durch Aufrechnung mit seiner Hauptforderung zum Erlöschen bringt. Allerdings wird aufgrund der Notwendigkeit der Bezeichnung des Gegenanspruchs bei der Verrechnung dem Sozialleistungsberechtigten gegenüber offengelegt, dass hier keine eigenen Rechte des verrechnenden Leistungsträgers, sondern Rechte Dritter geltend gemacht und zur Auf-/Verrechnung gestellt werden. Durch die Verrechnung wird zugleich auch über den eigenen Sozialleistungsanspruch verfügt, indem dieser dem Berechtigten gegenüber erlischt. Insoweit liegt nicht nur eine Verfügung über ein fremdes Recht vor.
Rz. 11
Die Ermächtigung als einseitige empfangsbedürftige Erklärung ist an keine Formvorschriften gebunden und kann auch konkludent wirksam werden. Die Höhe und der Rechtsgrund der Forderung gegen den Sozialleistungsberechtigten müssen dabei angegeben sein, schon um die Höhe des Aufrechnungsbetrags ermitteln und die ganz oder teilweise erlöschende Gegenforderung bestimmen zu können. Sie kann auch dahin gehen, dass nur ein Teil der an sich nach § 51 pfändbaren Sozialleistung und auch mit künftigen laufenden Sozialleistungsansprüchen verrechnet werden soll.
Rz. 12
Die Ermächtigung hat vor der Verrechnung zu erfolgen, was zumeist schon deshalb erforderlich ist, um eine vollständige Auszahlung der Sozialleistung zu verhindern. Ob eine nachträgliche Genehmigung einer ohne Ermächtigung vorgenommenen Verrechnung möglich ist, ist umstritten. Da aber spätestens in der Genehmigung der Verrechnung konkludent auch die Ermächtigung liegt, könnte der leistungspflichtige Träger einem Auszahlungsbegehren oder einer Leistungsklage des Sozialleistungsberechtigten wegen vermeintlich nicht erfolgter oder unwirksamer Verrechnung durch eine wiederholte Verrechnungserklärung die Erfüllung durch Verrechnung entgegenhalten, da auch diese neuerliche Verrechnungserklärung wie eine Aufrechnung auf den Zeitpunkt der Aufrechnungslage zurückwirkt (§ 389 BGB).
Rz. 13
Durch die Ermächtigung ist der ersuchte Sozialleistungsträger berechtigt, die Verrechnung zu erklären. Ob dieser dadurch auch zur Abgabe der Verrechnungserklärung verpflichtet ist, ist nach dem Gesetzeswortlaut zweifelhaft und umstritten. Dementsprechend ist auch zweifelhaft, wie der ersuchte Leistungsträger bei mehreren Verrechnungsersuchen zu verfahren hat; ob er hier nach dem Prioritätsprinzip vorgehen muss, er auch "einfache" Verrechnungsfälle "problematischen" vorziehen oder nach Dringlichkeit vorgehen kann, ist somit offen. Keine Rechte anderer Sozialleistungsträger verletzt jedenfalls der Träger, der vor der Verrechnung für andere zunächst durch Aufrechnung nach § 51 die eigenen Ansprüche realisiert.
Rz. 14
Im Verhältnis der beteiligten Sozialleistungsträger untereinander beinhaltet das "Kann" in § 52 keine Ermessensentscheidung, sondern ist als "Kompetenz-Kann" zu verstehen (BSG, Urteil v. 26.9.1991, 4/1 RA 33/90, SozR 3-1200 § 51 Nr. 2), so dass der ersuchte Träger im Verhältnis zum ersuchenden Träger nicht im Ermessenswege über Vornahme oder Nichtvornahme der Verrechnung zu entscheiden hat.