Rz. 21
Abs. 3 schützt den Sozialleistungsberechtigten und ihm nahe stehende Personen davor, sich durch Angaben im Verwaltungsverfahren unter Hinweis auf die Mitwirkungspflichten der Gefahr der Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit oder Straftat auszusetzen. Eine solche Regelung ist in allen Prozessordnungen in Bezug auf den Betroffenen selbst oder einen Angehörigen enthalten. Die Regelung nimmt auf § 383 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 ZPO Bezug. Danach sind nahe stehende Personen
- der Verlobte (§ 383 Abs. 1 Nr. 1 ZPO),
- der Ehegatte, auch wenn die Ehe nicht mehr besteht (§ 383 Abs. 1 Nr. 2 ZPO),
- der Lebenspartner, auch wenn die Lebenspartnerschaft nicht mehr besteht (§ 383 Abs. 1 Nr. 2a ZPO),
- mit dem Betroffenen in gerader Linie Verwandte oder Verschwägerte, auch wenn die Verwandtschaft oder Schwägerschaft nicht mehr besteht,
- in der Seitenlinie bis zum 3. Grad Verwandte, auch wenn die Verwandtschaft nicht mehr besteht, oder
- in der Seitenlinie bis zum 2. Grad Verschwägerte, auch wenn die Schwägerschaft nicht mehr besteht (§ 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO).
Ein Mitwirkungsverweigerungsrecht besteht nicht, wenn der Partner in eheähnlicher Gemeinschaft durch die geforderten Angaben der Gefahr ausgesetzt wird, strafrechtlich oder wegen einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden. Dasselbe gilt für nicht eingetragene Lebenspartnerschaften. Die Mitwirkung geht insoweit einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft vor.
Das Weigerungsrecht betrifft die Mitwirkung aufgrund des § 60, hier in Bezug auf jede erforderliche Angabe. Das Recht schließt unwahre Angaben nicht ein.
Rz. 22
Die Bedeutung von Abs. 3 zeigt sich insbesondere bei der nachträglichen Überprüfung von Leistungsvoraussetzungen. Dabei kann es um Angaben über den Gesundheitszustand, der Herkunft oder dem Verlauf von Krankheiten oder Unfällen oder auch um legale oder illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit gehen. Der Verweigerer muss sich ausdrücklich auf sein Recht nach Abs. 3 berufen und dem Leistungsträger nachvollziehbar darlegen. Dafür reicht es nicht aus, die Unannehmlichkeit einer Aussage zu artikulieren. Eine Berufung auf Abs. 1 Nr. 2, der die Erfüllung der Mitwirkungspflichten aus wichtigem Grund unzumutbar macht, ist demgegenüber nachrangig. Ein häufiger Fall des Abs. 3 wird der Betrug des zuständigen Sozialleistungsträgers selbst sein.
Rz. 23
Unter Angaben ist die Offenbarung von Tatsachen jeglicher Art zu verstehen, aus denen auf das Vorliegen einer Ordnungswidrigkeit oder Straftat geschlossen werden könnte. Das betrifft nicht nur Ausführungen in einem Vordruck oder Antworten auf spezifische Fragestellungen, sondern auch die Vorlage von Beweisurkunden oder sonstigen Unterlagen und selbst Untersuchungen, die Hinweise auf Straftaten ergeben könnten. In jedem Fall geht es aber um Tatsachen, nicht etwa um Vermutungen, Bewertungen o. ä. des Betroffenen. In diesem Zusammenhang kann es nicht darauf ankommen, ob der Leistungsträger aus datenschutzrechtlichen Gründen, insbesondere aufgrund des Sozialdatenschutzes, gemachte Angaben geheim zu halten hat oder nicht, weil es nur auf die Verfolgungsgefahr ankommt. Diese erhöht sich unstreitig dadurch, dass Angaben aktenkundig werden.
Rz. 24
Nach der Rechtsprechung des BSG gilt das Recht nach Abs. 3 auch in Fällen, in denen der Leistungsträger Schadensersatzansprüche realisieren will (BSG, Urteil v. 24.4.1991, 9a/9 RVg 5/89).
Rz. 25
Betroffene haben zu beachten, dass die Inanspruchnahme des Verweigerungsrechtes nach Abs. 3 zur Unerweislichkeit des Vorliegens der Anspruchsvoraussetzungen für die begehrte Sozialleistung führen kann. Das ist der Fall, wenn aufgrund in der Sphäre des Antragstellers liegende Tatsachen nicht anderweitig ermittelt werden können und deshalb eine Umkehr der Beweislast eintritt. In diesem Fall kann der Leistungsträger den Antrag auf die begehrte Leistung ablehnen oder die Entscheidung über die Bewilligung nach Maßgabe der §§ 45, 48 SGB X aufheben.
Rz. 26
§ 65 enthält keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz. Das Unterbleiben einer unzumutbaren Heilbehandlung (aus religiösen Gründen abgelehnte Fremdbluttransfusion) muss nicht bei jeder Betrachtung des Kausalzusammenhangs außer Ansatz bleiben (BSG, Urteil v. 9.12.2003, B 2 U 8/03 R).