Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Prozesskostenhilfe. Unzulässigkeit der Beiordnung einer Rechtsanwaltssozietät

 

Leitsatz (amtlich)

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit Beiordnung einer Anwaltssozietät anstelle eines Anwalts ist nicht zulässig. Eine über den Wortlaut des § 121 Abs 2 ZPO hinausgehende entsprechende verfassungskonforme Auslegung ist rechtlich nicht geboten (entgegen BGH vom 17.9.2008 - IV ZR 343/07 = NJW 2009, 440).

 

Tenor

Der Antrag des Klägers vom 23. Juli 2009, den Beschluss vom 06. Juli 2009 abzuändern und anstelle von Rechtsanwalt Dr. R. die Rechtsanwaltskanzlei R. & E. & Partner beizuordnen, wird abgelehnt.

 

Gründe

Der Antrag des Klägers vom 23.07.2009 auf Beiordnung der Rechtsanwaltskanzlei R. und E. und Partner anstelle von Rechtsanwalt R. war nicht zu entsprechen. Gemäß § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG gelten die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Prozesskostenhilfe entsprechend. Nach § 121 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) wird im sozialgerichtlichen Verfahren vor dem Sozial- und Landessozialgericht ein (zur Vertretung bereiter) Rechtsanwalt beigeordnet. Gleiches regelt § 73a Abs. 1 Satz 2 SGG für den gesonderten Fall, dass der Beteiligte von seinem Wahlrecht keinen Gebrauch macht. Damit lässt der derzeitige Wortlaut dieser gesetzlichen Vorschriften die Beiordnung einer Rechtsanwaltsgesellschaft (§ 59 c Abs. 1 Bundesrechtsanwaltsordnung - BRAO) einer Partnerschaftsgesellschaft (§ 7 Abs. 4 Partnerschaftsgesellschaftsgesetz) oder Anwaltssozietät nicht zu.

In seinem Beschluss vom 17.09.2008 (IV ZR 343/07) ist der Bundesgerichtshof (BGH NJW 2009, 440), auf den sich der Kläger zur Stützung seines Antrages beruft, im Wege einer seiner Auffassung nach gebotenen verfassungskonformen Auslegung zu dem Ergebnis gekommen, dass § 121 Abs. 1 ZPO nicht nur eine persönliche Beiordnung eines einzelnen Rechtsanwalts zulässt. Ob eine solche verfassungskonforme Auslegung - so der BGH - angesichts der bereits in den Jahren 1998 bzw. 1995 geschaffenen Regelungen über die Rechtsanwaltsgesellschaft bzw. Partnerschaftsgesellschaft und der Entscheidung des BGH vom 29.01.2001 (BGHZ 146, 341 ff), wonach eine in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) betriebene Anwaltssozietät rechtsfähig und parteifähig ist, im Lichte der hier berührten Grundrechte auf Berufsfreiheit (Artikel 12 Abs. 1 GG) und Gleichbehandlung (Artikel 3 Abs. 1 GG) notwendig ist oder sich die Beiordnung einer Rechtsanwaltssozietät angesichts des Wortlauts des § 121 Abs. 1 ZPO verbietet (Bay. LSG, Beschluss vom 04.07.2006 - L 15 B 44/03 R KO - OLG Celle, Beschluss vom 02.05.2003 - 7 U 11/03), ist hier mit Blick auf die Grundsätze des sozialgerichtlichen Verfahrens zu entscheiden. Eine über den Wortlaut hinausgehende verfassungskonforme Auslegung zur Zulässigkeit der Beiordnung einer Anwaltssoziätät ist danach rechtlich nicht geboten.

Der vom BGH in seinem genannten Beschluss erwähnte und zur Vermeidung von den Schutzbereich des Artikel 3 Abs. 1 GG berührenden Benachteiligungen hervorgehobene Gesichtspunkt der dem Prozesskostenhilferecht immanente Grundsatz der Waffengleichheit, ist im sozialgerichtlichen Verfahren nicht in dieser Weise tangiert wie in den kontradiktorischen Zivilrechtsstreitigkeiten. Die Beklagten im sozialgerichtlichen Verfahren, in der Regel Behörden, werden nämlich regelmäßig nicht von Rechtsanwälten, sondern von eigenen Beamten oder Angestellten vertreten. Dass einerseits eine vermögende Partei in der Lage ist, für sich eine Anwaltssozietät mit den aus deren Arbeitsteilung erwachsenden Vorteilen zu verpflichten, anderseits aber die auf Prozesskostenhilfe angewiesene Partei jeweils auf die Vertretung durch einen einzelnen Rechtsanwalt beschränkt ist, wie der BGH ausführt, lässt sich deshalb auf das sozialgerichtliche Verfahren nicht ohne weiteres übertragen. Zwar kann auch die Behörde u. U. auf sachkundige Angehörige einzelner Fachabteilungen, organisatorisch vergleichbar mit einer Rechtsanwaltskanzlei unterschiedlich spezialisierter Anwälte, zurückgreifen. Jedoch ist die Behörde bei der Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben der Objektivität verpflichtet (§ 17 SGB X) und unterliegt dem Amtsermittlungsgrundsatz (§ 20 SGB X). Sie hat daher das Begehren des Prozessgegners stützende Umstände, die sich ggf. erst im Rechtsbehelfsverfahren ergeben, von sich aus zu berücksichtigen, weshalb etwaige Erkenntnisse aus Spezialwissen der Behörde dem Prozessgegner auch zugute kommen können. Eine gänzliche Versagung der Beiordnung unter Hinweis auf den Amtsermittlungsgrundsatz ist zwar nicht gerechtfertigt (vgl. BVerfG NJW 1997, 2103) doch aus Gründen der Waffengleichheit ist der beantragte Umfang der Beiordnung nicht geboten. Eine Beschränkung der Anwaltssozietät in ihrem von Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Recht auf Berufsausübung ergibt sich durch die am Wortlaut des § 121 ZPO orientierte Normanwendung nicht. Eine Schlechterstellung der Anwaltssozietät gegenüber der genannten Rechtsanwaltsges...

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