Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziales Entschädigungsrecht. Berechnung eines Berufsschadensausgleichs. Schädigung vor Abschluss der Schulausbildung
Orientierungssatz
Zur Berechnung des Berufsschadensausgleichs nach § 1 OEG iVm § 30 Abs 3 BVG (in der bis zum 30.6.2011 geltenden Fassung) im Falle einer vor Abschluss der Schulausbildung eingetretenen Schädigung.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 24. Mai 2023 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt - im Wege des Überprüfungsverfahrens - die Gewährung eines höheren Berufsschadensausgleichs nach dem Gesetz über die Entschädigung der Opfer von Gewalttaten (OEG) i. V. m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Die 1979 geborene, mittlerweile verpartnerte Klägerin und selbst Mutter von 2013 geborenen Zwillingen, wuchs, bis sie 10 Jahre alt war, mit ihrer Mutter und deren Lebensgefährten R1 (im Folgenden: R.) im Haus der Großeltern mütterlicherseits auf, wobei die Großmutter nach dem Tod des Großvaters im Jahre 1986 ihre Bezugsperson war. Anschließend zog die Klägerin mit ihrer Mutter und R. innerhalb der Wohngemeinde um. Ab dem 13. Lebensjahr hielt sie sich dort nur noch an den Wochenenden auf, ihren Lebensmittelpunkt hatte sie wieder zu ihrer Großmutter verlagert, zu der sie auch in der Zeit davor den Kontakt intensiv gepflegt hatte. Sie lebte dort bis zum Abschluss der Hauptschule im Jahre 1994. Anschließend zog sie wieder zu ihrer Mutter und besuchte die Haus- und Landwirtschaftsschule M1, eine hauswirtschaftlich-sozialpädagogische Berufsfachschule, die sie 1996 mit der Durchschnittsnote 3,0 und der Berechtigung des Realschulabschlusses beendete. Im Mai 1996 kam sie in eine von der Jugendhilfe C1 e. V. betreute Außenwohngruppe. Von 1996 bis 1997 leistete sie ein Vorpraktikum in einem Kindergarten ab.
Nachdem die Klägerin einen Tag nach ihrem 18. Geburtstag vormittags jeweils zehn Tabletten Lasix und Paracetamol sowie mehrere pflanzliche Kreislauftabletten eingenommen und deswegen am Abend erbrochen hatte, wurde sie im C2-Krankenhaus M1 stationär aufgenommen. H1 diagnostizierte nach dem Entlassungsbericht eine Tablettenintoxikation in suizidaler Absicht (ICD-10 T96.3) und eine Borderline-Persönlichkeit. Am 14. April 1997 verließ sie eigenmächtig das Krankenhaus. Nach Verständigung der Polizei wurde sie von dieser aufgegriffen und in die Psychiatrische Abteilung des Kreiskrankenhauses T1 verbracht. Dort wurden von dem L1 der Verdacht auf eine Verhaltensstörung bei einem Zustand nach Suizidversuch (ICD-10 F44.0) und eine Essstörung (ICD-10 F50.0) diagnostiziert. Ab Juni 1997 bis September 2001 befand sich die Klägerin, mit Unterbrechung, in ambulanter psychotherapeutischer Behandlung bei S1, die eine Borderline-Persönlichkeitsstörung diagnostizierte. Die dem Krankheitsbild zugrundeliegenden schweren seelischen und körperlichen Vernachlässigungen und Traumatisierungen im häuslichen Bereich schon in frühester Kindheit ließen durch die damit verbundenen angstbedingten Abwehrmechanismen nur ganz allmählich eine kausale Bearbeitung zu. Die Klägerin habe das therapeutische Angebot nach ihren Möglichkeiten zuverlässig wahrgenommen und allmählich Vertrauen entwickeln können. Ein zweitägiger stationärer Aufenthalt im C2-Krankenhaus in M1 im Januar 2000 erfolgte wegen der Einnahme von acht Tabletten Oxazepam. H2 diagnostizierte im Entlassungsbericht eine demonstrativ-appellative Tablettenintoxikation in nichtsuizidaler Absicht bei bestehender Konfliktsituation.
Auf Veranlassung ihres Hausarztes, T2, wurde die Klägerin aufgrund der von ihm gestellten Diagnosen „Angstneurotische Fehlhaltung mit depressivem Einschlag bei gestörter Primärpersönlichkeit, Spannungskopfschmerz, Migräne“ von Ende August bis Mitte Dezember 2000 stationär in der Abteilung für Psychosomatik der B1-Klinik (heute: M2-Klinik am V1) in D1 aufgenommen. Nach dem Entlassungsbericht von T3 wurden eine rezidivierende depressive Störung mit gegenwärtig leichter Episode, soziale Ängste und eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Typ Borderline diagnostiziert. Die Klägerin habe berichtet, zur Mutter keinen Kontakt mehr zu haben. Diese sei aggressiv und überfordert, schlage und schreie nur, sei gefühlskalt, ichbezogen und geldgierig. Zu Hause sei es sehr schmutzig gewesen. Ihre Großmutter mütterlicherseits sei nett, aber gefühllos. Auch von ihr sei sie nie in den Arm genommen worden.
Bereits von 1997 an bis 2000 erlernte die Klägerin den Beruf der Haus- und Familienpflegerin, den sie von Februar bis August 2001 in einem Alten- und Pflegeheim ausübte. Diese Tätigkeit beendete sie, um den Beruf der Erzieherin zu erlernen. Die zweijährige schulische Ausbildung schloss sie im Jahre 2003 an der Katholischen Fachschule für Sozialpädagogik in K1 mit der Durchschnittsnote 1,7 ab. Das anschließende Berufspraktikum in e...