Leitsatz (amtlich)

1. Die Pflicht zur unverzüglichen Weiterleitung gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 SGB IX verlängert die Zweiwochenfrist des § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX nicht, sondern gilt nur in deren Rahmen.

2. Erfolgt die Weiterleitung an einen anderen Rehabilitationsträger nicht fristgerecht, ist im Außenverhältnis zum Antragsteller nur der erstangegangene Rehabilitationsträger zuständig.

 

Normenkette

SGB XII § 19 Abs. 3, § 53 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 Sätze 1-2, §§ 54, 75, 98 Abs. 5; SGB IX § 2 Abs. 1 S. 1, § 14 Abs. 1 S. 1, Abs. 4, § 55; SGB X § 34 Abs. 1 S. 1; BGB § 121 Abs. 1 S. 1; SGG § 75 Abs. 2, § 86b Abs. 2 Sätze 2, 4, § 88 Abs. 1, §§ 123, 130; ZPO § 920 Abs. 2

 

Tenor

Der Beschluss des Sozialgerichts Heilbronn vom 15. Juli 2019 (Ablehnung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung) wird aufgehoben. Der Antragsgegner wird im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, für den Zeitraum vom 1. August 2019 bis zum 31. Oktober 2019 die Kosten des ambulant Betreuten Wohnens der Antragstellerin in einer Einrichtung der P. gGmbH, L., nach Maßgabe der einschlägigen, von der P. gGmbH gemäß § 75 ff. Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch abgeschlossenen Vereinbarung vorläufig zu übernehmen.

Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin in beiden Rechtszügen.

 

Gründe

1. Die nach § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragstellerin ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere statthaft (§ 172 SGG).

2. Die Beschwerde der Antragstellerin ist auch begründet. Das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Unrecht abgelehnt. Der Antrag ist zulässig und begründet.

a) Der Antrag ist zulässig.

In einem Hauptsacheverfahren würde die Antragstellerin der Sache nach (vgl. § 123 SGG) die Kostenübernahme durch den Antragsgegner im Rahmen einer Sachleistung im weiteren Sinne (Schuldbeitritt durch Verwaltungsakt mit Drittwirkung) anstreben. Denn bei der begehrten Kostenübernahme für das ambulant betreute Wohnen handelt es sich um keine Geldleistung, sondern nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) um einen Schuldbeitritt, verbunden mit einem Anspruch auf Befreiung von der Schuld gegenüber dem jeweils Leistungserbringer (vgl. BSG, Urteil vom 28. Oktober 2008 - B 8 SO 22/07 R - juris Rdnr. 25 ff.; BSG, Urteil vom 22. März 2012 - B 8 SO 30/10 R - juris Rdnr. 16;BSG, Urteil vom 23. August 2013 - B 8 SO 10/12 R - juris Rdnr. 10, 12; BSG, Urteil vom 6. Dezember 2018 - B 8 SO 9/18 R - juris Rdnr. 34). Der Schuldbeitritt hat einen unmittelbaren Zahlungsanspruch des Leistungserbringers gegen den Sozialhilfeträger und einen Anspruch des Hilfeempfängers gegen den Sozialhilfeträger auf Zahlung an den Leistungserbringer zur Folge (BSG, Urteil vom 23. August 2013 - B 8 SO 10/12 R - juris Rdnr. 10 m.w.N.). Es handelt sich demnach nicht um eine Geldleistung im Sinne des § 130 SGG, so dass in einem Hauptsacheverfahren ein Grundurteil nach § 130 Abs. 1 Satz 1 SGG nicht zulässig wäre (BSG, Urteil vom 23. August 2013 - B 8 SO 10/12 R - juris Rdnr. 12). Ist die Schuld, zu der der Sozialhilfeträger beitreten soll, noch nicht begründet worden, kann im Hauptsacheverfahren allerdings auf die Erteilung der Zusicherung (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X) eines späteren Schuldbeitritts geklagt werden (vgl. BSG, Urteil vom 24. Februar 2016 - B 8 SO 18/14 R - juris Rdnr. 16; BSG, Beschluss vom 8. März 2017 - B 8 SO 79/16 B - juris Rdnr. 6; Landessozialgericht [LSG] Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 26. Mai 2016 - L 8 SO 166/12 - juris Rdnr. 30 ff.).

Grundsätzlich kommt auch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ein “Grundbeschluss„, also etwa die bloße, nicht näher konkretisierte Verpflichtung zur Erbringung von Eingliederungshilfeleistungen nicht in Betracht (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 5. Februar 2014 - L 9 SO 413/13 B ER - juris Rdnr. 20). So scheidet eine einstweilige Anordnung regelmäßig aus, wenn der Antragsteller nicht darlegt und glaubhaft macht, welche Leistungen und Kosten überhaupt in Rede stehen bzw. ob und unter welchen (vertraglichen) Bedingungen der Leistungserbringer bereit ist, ihn aufzunehmen (vgl. Beschluss des Senats vom 2. August 2016 - L 7 SO 2159/16 ER-B - n.v.). Erst Recht dürfte in der Regel auch eine Verpflichtung des Sozialhilfeträgers dann ausscheiden, wenn zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch unbekannt wäre, in welche Einrichtung der Leistungsbegehrende aufgenommen werden soll (so LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26. November 2014 - L 9 SO 429/14 B ER - juris Rdnr. 29). So verhält es sich aber hier nicht, denn hier ist der Träger der Einrichtung bekannt und der Senat konnte die einstweilige Anordnung entsprechend konkret fassen: Die P. gGmbH hat zuletzt mit Schreiben vom 22. Juli 2019 (an die Betreuerin der Antragstellerin) mitgeteilt, dass ein Platz für die Antragstellerin in einer der von ihr betreuten Wohngemeinschaften noch zur Verfügung stehe.

Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren bedarf es...

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