Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld. Erstattungspflicht des Arbeitgebers. Beschäftigungszeit. Betriebsübergang. Befreiungstatbestand. Amtsermittlungspflicht. Ladung eines Zeugen. Durchführung der Beweisaufnahme
Orientierungssatz
1. Die bei dem früheren Arbeitgeber zurückgelegten Beschäftigungszeiten sind dessen Rechtsnachfolger bei der Beurteilung der Erstattungspflicht nach § 128 Abs 1 AFG zuzurechnen, dies folgt sowohl aus der in § 25 Abs 2 S 1 KapErhG als Folge der bei Verschmelzungen angeordneten Universalsukzession (vgl LSG Stuttgart vom 2.10.1996 - L 5 AL 566/96), als auch aus § 613a BGB (vgl BSG vom 18.9.1997 - 11 RAr 55/96 = SozR 3-4100 § 128 Nr 3).
2. Für die Frage, ob der Arbeitslose anderweitige Sozialleistungen iS des § 128 Abs 1 S 2 AFG beanspruchen kann, gilt der allgemeine Maßstab der Amtsermittlungspflicht, dass nicht nach Tatsachen zu forschen ist, für deren Bestehen die Umstände des Einzelfalles keine Anhaltspunkte bieten (vgl BSG vom 17.12.1997 - 11 RAr 61/97 = SozR 3-4100 § 128 Nr 5).
3. Weitere Ermittlungen sind nicht anzustellen, insbesondere die persönliche Vernehmung eines Zeugen, wenn der Zeuge gemäß § 118 SGG iVm § 377 Abs 3 ZPO schriftlich gehört wurde. Die schriftliche Zeugenanhörung steht grundsätzlich der persönlichen Vernehmung gleich; die Ladung hat nach schriftlicher Vernehmung nur dann zu erfolgen, wenn dies zur weiteren Klärung der Beweisfrage notwendig ist.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Heranziehung zur Erstattung von Arbeitslosengeld (Alg) nebst Beiträgen zur Kranken- und Rentenversicherung im Fall des ehemaligen, ... 1936 geborenen Arbeitnehmers H-O P (P.).
Die Klägerin ist die Rechtsnachfolgerin der Fa. S Auto-Electric GmbH (S), einem Zulieferbetrieb der Autoindustrie. Die S übertrug auf Grund des Verschmelzungsvertrages vom 23.06.1993 gemäß § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 des Kapitalerhöhungsgesetzes (KapErhG) ihr Vermögen als Ganzes auf die frühere Klägerin, die Fa. I A Europe GmbH (I). Die Fa. S erlosch (Eintrag im Handelsregister des Amtsgerichts B vom 30.08.1993). Der Bereich "Electrical Systems" wurde 1998 als S Auto-Electric GmbH & Co. KG aus der I ausgegliedert. Diese war Rechtsnachfolgerin hinsichtlich der hier streitigen Ansprüche. Die S Auto-Electric GmbH & Co. KG wurde sodann an die V S.A. verkauft und firmiert seit September 1998 als V Auto-Electric GmbH & Co. KG. Ihr obliegt (nach weiteren Ausgliederungen) ausschließlich die Zuständigkeit hinsichtlich der "Altfälle", zu denen das vorliegende Verfahren gehört. Nach den Angaben ihres Bevollmächtigten im Termin zur mündlichen Verhandlung beschäftigt die Klägerin im Februar 1999 weniger als 20 Mitarbeiter.
Im Juni 1993 hatten die Fa. S und der Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung über einen Interessenausgleich nach §§ 111, 112 BetrVG abgeschlossen, dem das Ziel zu Grunde lag, im Werk B insgesamt 460 Personen einzusparen. Dabei wurden auch betriebsbedingte Kündigungen als erforderlich angesehen sowie eine zeitlich befristete Abfindungsaktion mit Aufhebungsverträgen gemäß dem Sozialplan und Frühpensionierungen solcher Beschäftigten vorgesehen, die mindestens 57 Jahre und 4 Monate alt sind und ein Abfindungsangebot erhalten sollten. Der zwischen der S und dem Betriebsrat ebenfalls am 16.06.1993 abgeschlossene Sozialplan enthält Vorgaben für Abfindungsregelungen (Abschnitt 2.) und für den Personalabbau in den einzelnen Betriebsbereichen (Anlage 1) sowie für die Sozialauswahl (Anlage 2 mit einem sog. Punktesystem). Für die Zeit vom 01.09.1993 bis zum 31.01.1994 anerkannte die Beklagte das Vorliegen der Voraussetzungen des § 128 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 AFG. Für den Zeitraum ab Februar 1994 ist ein Antrag im Sinne des § 128 Abs.1 Nr.6 AFG nicht gestellt worden, weil die Relation zwischen der Zahl der beendigten Arbeitsverhältnisse älterer Arbeitnehmer und der Zahl der beendigten Arbeitsverhältnisse jüngerer Arbeitnehmer nicht den Anforderungen dieses Befreiungstatbestandes entsprochen habe (vgl. Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 02.10.1996).
Bei der S war P. vom 04.05.1981 bis 28.02.1994 als Arbeiter bei einem Gehalt von zuletzt 3.420,90 DM (letzter Lohnabrechnungszeitraum Januar 1994) monatlich beschäftigt. Die (tarifliche) regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit betrug 36 Stunden. Die ordentliche Kündigung war tarifvertraglich ausgeschlossen. Das Arbeitsverhältnis endete durch den Aufhebungsvertrag vom 02.09.1993 mit Wirkung zum 28.02.1994 gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 30.500,00 DM.
Zum 01.03.1994 meldete sich P. beim Arbeitsamt (AA) L arbeitslos und beantragte die Gewährung von Alg. Das AA stellte den Eintritt einer zwölfwöchigen Sperrzeit verbunden mit einer Minderung der Anspruchsdauer um 72 Tage fest und bewilligte mit Bescheid vom 17.03.1994 Alg für eine (Rest-)Anspruchsdauer von 760 Tagen (Leistungsgruppe C/0, allgemeiner Leistungssatz, Bemessungsentgelt 790,00 DM) ab 15.06.1994 in Höhe von 332,40 DM. Der wöchentliche Leistungssatz betrug ab 01.01.1995 328,20 DM, ab 01.02.1995...