Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialversicherungspflicht. Tätigkeit als freiberufliche Pflegefachkraft in einer Wohneinheit für an Demenz erkrankte Bewohner im Schichtdienst. Dienstleistungsvertrag. abhängige Beschäftigung. selbstständige Tätigkeit. Abgrenzung. Regel-Ausnahmeverhältnis unabhängig von der Form der Leistungserbringer
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Pflegefachkraft, die in einer Wohneinheit für an Demenz erkrankte Bewohner im Schichtdienst arbeitet, ist aufgrund bestehender Weisungsabhängigkeit und Eingliederung in die Arbeitsorganisation abhängig beschäftigt.
2. Für eine nur ausnahmsweise in Betracht kommende selbstständige Tätigkeit im sozialversicherungsrechtlichen Sinne müssen gewichtige Indizien bestehen (vgl BSG vom 7.6.2019 - B 12 R 6/18 R = SozR 4-2400 § 7 Nr 44 = juris RdNr 26 zur stationären Pflegeeinrichtung). Da die Anforderungen an einen ambulanten Leistungserbringer nach § 71 Abs 1 SGB XI aber mit denen nach § 71 Abs 2 Nr 1 SGB XI für eine stationäre Pflegeeinrichtung übereinstimmen, muss dieses Regel-Ausnahmeverhältnis unabhängig von der Form der Leistungserbringer (ambulant/stationär) gelten.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 20. März 2017 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 5.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beigeladene zu 1 aufgrund einer Tätigkeit für die Klägerin in der Zeit vom 5. bis 11. November 2012 in der gesetzlichen Renten-, Kranken- und sozialen Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung versicherungspflichtig beschäftigt war.
Die 1964 geborene Beigeladene zu 1 ist ausgebildete Pflegefachkraft und war nach ihren eigenen Angaben jedenfalls bis August 2012 als solche abhängig beschäftigt.
In der Folgezeit wurde sie aufgrund unterschiedlicher Verträge als „freiberufliche Pflegefachkraft“ für verschiedene Pflegeheime tätig. Die Vertragsverhältnisse kamen über eine Vermittlungsagentur zustande, bei der die Beigeladene zu 1 gemeldet war. So wurde sie vom 27. bis 29. August, 3. bis 16. September, 29. September bis 31. Oktober sowie 1. Dezember 2012 bis 28. Februar 2013 nacheinander für drei verschiedene Pflegeheime tätig. Sie stellte für diese Tätigkeiten jeweils unter Angabe der täglich geleisteten Arbeitsstunden Rechnungen an die Heimträger, die sie unabhängig vom jeweiligen Auftraggeber fortlaufend durchnummerierte. Für diese Tätigkeiten stellte die Beklagte nachfolgend jeweils die Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung fest. Eine dieser Entscheidungen wurde wegen einer früheren - inhaltsgleichen - Feststellung im Rahmen einer Betriebsprüfung durch die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg zurückgenommen. Eine andere wurde im Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg (L 5 R 4855/16) bestätigt (rechtskräftig nach Unterwerfungsvergleich im Revisionsverfahren vor dem Bundessozialgericht [BSG] - B 12 R 16/18 R - vom 7. Juni 2019, bezogen auf das dortige Verfahren B 12 R 6/18 R; Terminbericht vom 7. Juni 2019).
Die klagende GmbH ist Trägerin eines zugelassenen ambulanten Pflegedienstes und betreute eine Wohngemeinschaft für alte, an Demenz erkrankte Menschen.
Nachdem eine Vermittlungsagentur sie über die Möglichkeit der Tätigkeit bei der Klägerin informiert hatte, setzte sich die Beigeladene zu 1 mit dieser telefonisch in Verbindung. In diesem Rahmen wurde die Höhe der Stundenvergütung ausgehandelt. In der Folge schloss die Klägerin mit der Beigeladenen zu 1 als „freiberufliche Pflegekraft“ den - undatierten - „Dienstleistungs-Vertrag“ (im Folgenden DV) für eine Tätigkeit als „Schichtleitung auf dem Wohnbereich und mobile Ambulante Pflege“ (Bl. 119 bis 121 der Verwaltungsakte ≪VA≫). Die Beigeladene zu 1 werde vom Geschäftsleiter der Klägerin mit der Ausführung der Tätigkeiten vom 5. bis 11. November 2012 beauftragt. Der DV traf des Weiteren insbesondere folgende Regelungen:
„Die erteilten Aufträge sind vom freien Mitarbeiter/Mitarbeiterin in eigener Verantwortung aus zu üben. Die Interessen des Auftraggebers sind zu berücksichtigen.
Mindestens 8 Tage vor Auftragsbeginn werden das Krankheitsbild und der Pflegebedarf per Post an [die Beigeladene zu 1] verschickt. ...
Das Vertragsverhältnis ist befristet bis zum oben genannten Zeitraum, kann aber nach gegenseitiger Absprache verlängert werden. Beide Vertragsparteien haben das Recht, den Vertrag mit einer Frist vor Beginn von 10 Tagen schriftlich zu kündigen. ...
Der freie Mitarbeiter/Mitarbeiterin erhält einen Stundenlohn von:
- Mo. - Fr. 29,00 €
- Samstag: 32,20 €
- Sonntag: 34,00 €
- Feiertage: 35,00 €
Sonstige Vereinbarungen:
- Unterkunft und Verpflegung wird für die Zeit gestellt.
- Arbeitskleidung wo für die Zeit erforderlich ist hierum k...