Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. künstliche Befruchtung. Kryokonservierung. kein Sachleistungsanspruch für die Zeit vor den leistungskonkretisierenden Festlegungen des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA). kein Kostenerstattungsanspruch aufgrund Systemversagens
Leitsatz (amtlich)
Für die Zeit vor Inkrafttreten der Kryo-RL (juris: KryoRL) des GBA (BAnz 19.02.2021 B7) am 20.2.2021 besteht kein Sachleistungsanspruch auf Kryokonservierung. Erst der GBA entscheidet über die weitere Konkretisierung des Gesetzes (§ 27a Abs 4 SGB V) als Normgeber. Mit der Kryo-RL wird der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten Leistungen verbindlich festgelegt.
Orientierungssatz
Ein sachleistungsersetzender Freistellungs- oder Kostenerstattungsanspruch wegen Systemversagens besteht nicht. Der GBA ist nicht rechtswidrig untätig geblieben.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 01.12.2021 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung der Kosten einer Kryokonservierung streitig.
Die 1995 geborene Klägerin ist bei der beklagten Krankenkasse versichert. Sie leidet an Morbus Hodgkin (bösartiger Tumor des Lymphsystems).
Am 23.07.2018 beantragte die Klägerin erstmals die Übernahme der Kosten zur Eizellenentnahme und legte ein Informationsschreiben der gynäkologischen Endokrinologie und Fertilitätsstörungen-Kinderwunschsprechstunde des U. Klinikums H über die Methode sowie die Kosten ua der Kryokonservierung vor. Zur Begründung verwies die Klägerin auf die Erkrankung Morbus Hodgkin. Der Krebs sei in vier Blöcken Chemotherapie, zahlreichen Bestrahlungen sowie sämtlichen Operationen behandelt worden. Eine dieser Operationen sei die Verlagerung ihres linken Ovars (Eierstock) aus dem vorgesehenen Bestrahlungsfeld gewesen, um die Funktionalität des Ovars soweit wie möglich zu erhalten. Auf Grund von Kommunikationsproblemen zwischen den operierenden Ärzten sei das Ovar mitten in das Bestrahlungsfeld verlegt worden. Es habe eine erneute Operation angestanden, um das Ovar vorübergehend aus dem Bestrahlungsfeld zu entfernen. Schon zu diesem Zeitpunkt sei sie sich darüber im Klaren gewesen, dass sie sich lieber noch einmal operieren lassen werde, als die Funktionalität des Ovars und somit auch die Möglichkeit von eigenen Kindern zu gefährden. Heute sei sie mit 22 Jahren erneut mit dem Thema Kinderwunsch konfrontiert worden, da ihr Frauenarzt einen sehr niedrigen Wert des Anti-Müller-Hormons (AMH), das Rückschlüsse auf die Fruchtbarkeit liefere, festgestellt habe. Daraufhin habe ihr ihre Ärztin nahegelegt, nicht allzu lange mit der Familienplanung zu warten, weil sich der Wert im Laufe des Alters verschlechtere. Schuld an diesem niedrigen Wert seien die Chemo- und Bestrahlungstherapien gegen den Krebs. Aktuell wolle sie noch keine Kinder bekommen, zumal sie noch mitten in der Ausbildung zur Krankenschwester sei und noch nicht den richtigen Partner gefunden habe. Trotzdem wolle sie sich die Möglichkeit offenhalten, Kinder zu bekommen, wenn die Zeit dafür reif sei. Deshalb habe sie sich dazu entschlossen, Eizellen entnehmen und einfrieren zu lassen. In dem Informationsschreiben werden die Kosten für die Kryokonservierung von befruchteten und unbefruchteten Eizellen mit 150 € sowie für die Lagerung der kryokonservierten Zellen für ein Jahr mit 300 € angegeben. Die Klinik wies darauf hin, dass die Kryokonservierung und der mögliche Embryotransfer keine Leistung der Krankenkasse darstellten, somit keine Erstattungspflicht durch die Krankenkassen bestehe. Die anfallenden Kosten für Einfrieren, Lagerung und den möglichen Embryotransfer müssten von den Paaren selbst getragen werden. Die Leistungen würden in Rechnung gestellt.
Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 02.08.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.02.2019 ab.
Mit E-Mail vom 14.05.2019 wies die Klägerin auf ihren Antrag aus Juli 2018 hin und bat unter Verweis auf die kürzlich geänderte Gesetzeslage die Beklagte um nochmalige Prüfung der Unterlagen sowie Kostenübernahme. Die Entnahme habe bisher noch nicht stattgefunden.
Mit Bescheid vom 28.05.2019 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die Kosten für eine Kryokonservierung der Eizellen könnten nicht übernommen werden. In der gesetzlichen Krankenversicherung dürften Kosten nur für Leistungen übernommen werden, die zur Diagnose, Behandlung und Vorbeugung einer Erkrankung dienten. Die Kryokonservierung gehöre nicht zu diesen Leistungen, sondern solle vielmehr die Folgen der Behandlung der Erkrankung der Klägerin ausgleichen. Derartige Leistungen gehörten bisher nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung.
Dagegen legte die Klägerin am 12.06.2019 Widerspruch ein. Mit Schreiben vom 21.06.2019 wies die Beklagte darauf hin, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) derzeit die medizinischen Einzelheiten zu den Voraussetzungen, der Art und dem ...