Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrecht. Sonderrechtsnachfolge gemäß § 56 Abs 1 S 1 SGB 1. Anspruch auf Landesblindenhilfe. Übergangsfähigkeit. höchstpersönlicher Anspruch
Leitsatz (amtlich)
Ein Anspruch auf Landesblindenhilfe nach dem Blindenhilfegesetz Baden-Württemberg (juris: BliHiG BW) ist weder vererbbar noch übergangsfähig iS des § 56 SGB I.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 4. Oktober 2016 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt als Rechtsnachfolgerin Landesblindengeld für die Zeit vom 1. April 2011 bis zum 31. März 2013.
Die Klägerin ist die Witwe des 1923 geborenen und am 2013 verstorbenen E. S. ..Die Klägerin lebte mit E.S. zur Zeit dessen Todes in einem gemeinsamen Haushalt. E.S. beantragte am 5. April 2011 bei dem Beklagten Landesblindenhilfe nach dem Gesetz über die Landesblindenhilfe Baden-Württemberg (Blindenhilfegesetz ≪BliHG≫). Er verfügte seinerzeit über einen unbefristet gültigen Schwerbehindertenausweis (Grad der Behinderung 100) mit den Merkzeichen “B„, “G„ und “RF„. Die Fachärztin für Augenheilkunde Dr. G.-R.bescheinigte E.S. eine Sehminderung in einer Prüfentfernung mit und ohne Korrektur von jeweils 1/50. Die Sehschärfe auf dem besseren Auge betrage nicht mehr als 1/50.
Der Beklagte empfahl E.S., beim Versorgungsamt F. eine Zuweisung des Merkzeichens “Bl„ im Schwerbehindertenausweis zu beantragen, da die Entscheidung des Versorgungsamtes Bindungswirkung für die Landesblindenhilfe habe. Daher werde die Bearbeitung des Antrages bis zur Entscheidung des Versorgungsamtes zurückgestellt (Schreiben vom 15. April 2011). Das Versorgungsamt F. lehnte zunächst die Feststellung des Merkzeichens “Bl„ ab (Bescheid vom 5. Juli 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Oktober 2011). Im Rahmen des durch E.S. vor dem Sozialgericht (SG) Freiburg geführten Klageverfahrens S 16 SB 5999/11 verpflichtete das SG die Versorgungsverwaltung unter Abänderung des Bescheids vom 5. Juli 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Oktober 2011, bei E.S. ab dem 27. April 2011 das Merkzeichen “Bl„ festzustellen (Urteil vom 5. Februar 2013; zugestellt der Versorgungsverwaltung am 25. Februar 2013). Das Versorgungsamt setzte dieses Urteil durch Bescheid vom 20. März 2013 um und stellte zugunsten des E.S. das Merkzeichen “Bl„ ab 27. April 2011 fest.
Bereits durch Bescheid vom 22. Juli 2011 hatte der Beklagte den Antrag des E.S. auf Landesblindenhilfe abgelehnt, da mit Bescheid des Versorgungsamtes vom 5. Juli 2011 festgestellt worden sei, dass Blindheit im Sinne des BliHG nicht vorliege. Dagegen legte E.S. am 1. August 2011 Widerspruch ein. Mit Schreiben vom 2. April 2013 informierte die Klägerin den Beklagten über das Ableben des E.S. und machte geltend, dass der Anspruch auf Blindenhilfe für den Zeitraum ab 27. April 2011 bis zum Sterbetag am 2. März 2013 fortbestehe. Der Beklagte wies den Widerspruch gegen den Bescheid vom 22. Juli 2011 als unbegründet zurück (Widerspruchsbescheid vom 3. Juli 2013). Nach § 4 Satz 2 BliHG sei der Anspruch auf Landesblindenhilfe nicht vererblich. Als spezielle Regelung gehe diese den allgemeinen Regelungen der Verfahrensgesetze vor. Der Anspruch auf Landesblindenhilfe sei mit dem Tod des E.S. nicht auf die Erben übergegangen. Der Anspruch sei auch nicht nach § 56 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) Erstes Buch (I) - Allgemeiner Teil - (SGB I) auf die Klägerin übergegangen. Aus dem Aspekt des Blindengeldes, nämlich die blindheitsbedingten Mehraufwendungen und Nachteile auszugleichen, und damit die Eingliederung in die Gesellschaft zu sichern sowie ein Leben in Würde zu ermöglichen, ergebe sich, dass diese Leistung einen höchstpersönlichen Charakter habe. Eine Rechtsnachfolge würde dieser Zielsetzung widersprechen. Mit der Auszahlung an die Klägerin könne die Zweckbestimmung der Blindenhilfe nicht mehr erfüllt werden.
Dagegen hat die Klägerin am 5. August 2013 Klage zum SG Freiburg erhoben. Entgegen der Auffassung des Beklagten habe das Landesblindengeld keinen höchstpersönlichen Charakter. E.S. sei es nur deshalb zu seinen Lebzeiten nicht gelungen, in den Genuss des Blindengeldes zu gelangen, weil das Versorgungsamt eine Fehlentscheidung getroffen habe. § 2 Abs. 2 SGB I enthalte eine Auslegungsregel dahingehend, dass Normen im Zweifel so zu verstehen seien, dass soziale Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden könnten. § 56 SGB I enthalte nach seinem Wortlaut keinerlei Hinweis darauf, dass entsprechend der Argumentation des Beklagten ein Übergang auf Sonderrechtsnachfolger nicht stattfinde, wenn es sich um höchstpersönliche Ansprüche handle. Die Voraussetzungen des § 56 SGB I seien gegeben. Die Klägerin habe mit E.S. eine sogenannte “Hausfrauenehe„ geführt und sei von diesem vollständig unterhalten worden. Hinter der Anordnung einer Sonderrechtsnachfolge stehe die Überlegung, dass nicht nur der Verstorbene, sondern auch die mit ihm zusammenlebenden oder von ihm unterha...