Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Reduzierung des Leistungsumfangs bei künstlicher Befruchtung auf 50% der entstehenden Kosten. Verfassungsmäßigkeit. Vorlage BVerfG
Leitsatz (amtlich)
Es verstößt nicht gegen Verfassungsrecht, wenn § 27a SGB 5 für Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung nur eine 50-prozentige Kostenübernahme der Krankenkassen vorsieht.
Orientierungssatz
Die Überprüfung von Normen durch die Fachgerichte im Rahmen von Art 100 Abs 1 GG dient nicht der abstrakten Normenkontrolle, sondern lediglich der Klärung, ob die Rechtsanwendung im konkreten Einzelfall zu einem verfassungswidrigen Ergebnis führt (vgl BSG vom 16.12.2003 - B 1 KR 12/02 R).
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 23. Januar 2006 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Kläger Anspruch auf Kostenerstattung für drei Behandlungszyklen einer In-Vitro-Fertilisation (IVF) haben.
Die 1970 geborene Klägerin und der 1964 geborene Kläger sind verheiratet und bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Am 22.03.2005 legten die Kläger der Beklagten einen Behandlungs- und Kostenplan vom 17.03.2005 für Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung des Dr. G. vom IVF-Zentrum U. vor. Geplant war eine IVF mit Embryotransfer wegen idiopathischer Sterilität. Die Gesamtkosten für ärztliche Behandlung, Anästhesie und Medikamente wurden pro Zyklusfall auf 3.009,18 € für die Frau und auf 45,71 € für den Mann veranschlagt.
Die Beklagte genehmigte den Behandlungs- und Kostenplan für drei Zyklen und wies die Kläger in ihren Bescheiden vom 22.03.2005 darauf hin, dass nach § 27a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) fünfzig Prozent der entstehenden Kosten als Eigenanteil des Patienten verbleiben. Gegen die ohne Rechtsbehelfsbelehrung ergangenen Bescheide vom 22.03.2005 legten die Kläger am 30.05.2005 Widerspruch bei der Beklagten ein. Sie verlangten von der Beklagten die volle Erstattung der Kosten für die Kinderwunschbehandlung. Die Beklagte könne sich nicht auf die Begrenzung der Leistungspflicht der Krankenkassen auf drei Versuche der IVF zu der Hälfte der anfallenden Kosten in § 27a Abs. 3 SGB V berufen, weil diese Vorschrift verfassungswidrig sei.
Die Regelung des § 27 a Abs. 3 SGB V stelle ein ungerechtfertigtes und unzumutbares Sonderopfer von Ehepartnern und Familien als Beitrag zur Konsolidierung der gesetzlichen Krankenversicherung dar und verstoße gegen das spezielle Diskriminierungsverbot aus Art. 6 Abs. 1 des GG, gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 des GG, sowie gegen das Recht auf Nachkommenschaft aus Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 2 Abs. 1 Satz 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 1 GG. Die dauerhafte Gewährleistung der medizinischen Versorgung und die unbestritten notwendige Reformierung des Gesundheitswesens resultierten aus den Schutzpflichten des Sozialstaatsprinzips und seien hochrangige Interessen der Allgemeinheit. Dem gegenüber stehe das vorbehaltlos gewährte und zentrale Grundrecht auf Familiengründung. Dieses sei hier vorrangig. Im Einzelnen haben die Kläger hierzu im Wesentlichen geltend gemacht:
- Durch die Einschränkung des Anspruchs auf eine 50%ige Kostenübernahme werde die notwendige medizinische Heilbehandlung bei künstlichen Befruchtungen denjenigen Einkommensgruppen verwehrt, welche ihren Eigenanteil nicht aufbringen könnten. Damit hätten nur noch besser verdienende Versicherte die Chance auf ein Kind durch künstliche Befruchtung und die notwendigen medizinische Versorgung sei abhängig vom Einkommen. Die Möglichkeit der Familiengründung werde durch die Neuregelung des § 27 a SGB V auf jene Paare eingeschränkt, die aus medizinischen Gründen auf eine künstliche Befruchtung angewiesen seien und über die nötigen finanziellen Mittel verfügten, um diesen Wunsch in die Tat umzusetzen.
- Familien würden weiterhin insoweit diskriminiert, als die sonst geltende Obergrenze von Selbstbeteiligungen von 2 % des Jahreseinkommens überschritten werde. Auch insoweit würden Ehepartner mit Wunsch zur Familiengründung gegenüber anderen Patientengruppen entgegen dem Schutzauftrag von Art. 6 Abs. 1 des GG ungerechtfertigt schlechter gestellt.
- Da es sich bei der künstlichen Befruchtung um eine Heilbehandlung handele, liege eine Ungleichbehandlung und damit Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG gegenüber anderen sich in Heilbehandlung befindlichen gesetzlich Versicherten vor, welche die gesamte Kostenerstattung verlangen könnten. Denn eine Fertilitätsstörung sei Krankheit im Sinne des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung als Teil der notwendig medizinischen Versorgung. Es bedürfe daher eines sachlichen Grundes, der eine Differenzierung der Kostentragung gegenüber anderen Heilbehandlungen rechtfertige. Ein solcher...