Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen. drohender Verlust des Arbeitsplatzes. Voraussetzungen
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen wegen des drohenden Verlustes des Arbeitsplatzes ist nach § 2 Abs 3 SGB 9 nur dann vorzunehmen, wenn dem behinderten Menschen infolge seiner Behinderung ohne die Gleichstellung der konkrete Verlust des Arbeitsplatzes droht; eine bloß abstrakte Gefährdung des Arbeitsplatzes genügt nicht.
2. Missverständnisse, nicht geklärte Zuständigkeiten, ein unfreundlicher Umgang miteinander, unklare Arbeitsanweisungen, fachliche Defizite und fehlendes Verständnis für die jeweilige Situation des anderen oder auch persönliche Schwierigkeiten im Verhältnis von behindertem Menschen und Vorgesetzten, die nicht auf einer Behinderung beruhen, rechtfertigen eine Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen im Sinne des § 2 Abs 3 SGB 9 nicht.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 12. Juli 2010 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Gleichstellung der Klägerin mit einem schwerbehinderten Menschen gem. § 2 Abs. 3 SGB IX streitig.
Die 1950 geborene Klägerin ist als Sekretärin bei einer Großbuchbinderei beschäftigt. Ihr wurde mit Bescheid vom 25. August 1992 ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 wegen Blutungsstörungen und Verwachsungsbeschwerden nach gynäkologischen Operationen, rezidivierende Lumbalgien bei degenerativen Veränderungen und Zustand nach ventraler und dorso-lateraler Versteifungsoperation L 5/S 1 zuerkannt. Mit Bescheid vom 7. Juli 2009 wurde seit 29. Oktober 2008 ein GdB von 40 festgestellt (zugrundeliegende Behinderungen: Verwachsungsbeschwerden nach Bauchoperation, Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Versteifung von Wirbelsäulenabschnitten, Funktionsbehinderung beider Schultergelenke, Fingerpolyarthrose, Bronchialasthma).
Am 31. Oktober 2008 beantragte die Klägerin bei der Beklagten, sie mit einem schwerbehinderten Menschen nach § 2 Abs. 3 SGB IX gleichzustellen. Sie gab u.a. an, von ihrem Chef seit einigen Jahren schikaniert zu werden, aber nicht wegen der Behinderung, denn davon wisse er erst seit ein paar Tagen. Als sie 2007 eine Kur angetreten habe, habe ihr Chef gesagt, dass sie häufig krank sei und sich überlegen müsse, wie es weitergehen solle. Seitdem habe sie sich in dem Betrieb sehr zurückgehalten. Sie spreche mit ihrem Chef auch nur noch wenig und in rauem Ton. Sie werde für Fehler verantwortlich gemacht, die sie nicht begangen habe. Sie habe den Antrag auf Gleichstellung gestellt, damit man sie nicht entlassen könne.
Gegenüber der Beklagten erklärte der Arbeitgeber am 26. November 2008, dass ihm die gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin bekannt seien. Zur Verbesserung des Arbeitsplatzes käme ein behindertengerechter Stuhl oder ein Umzug in ein anderes Gebäude in Betracht. Eine Umsetzung sei nicht möglich. Der Arbeitsplatz sei weder aus behinderungsbedingten noch aus sonstigen Gründen gefährdet. Die Beklagte lehnte eine Gleichstellung mit Bescheid vom 27. November 2008 ab. Mit ihrem Widerspruch brachte die Klägerin vor, dass sich durch die Schikanierung seitens ihres Arbeitgebers eine Gefährdung ihres Arbeitsplatzes ergebe. Sie verwies dazu auf eine vorgelegte Übersicht über die Krankheitstage (2006: 22 Tage Arbeitsunfähigkeit wegen einer Meniskusschädigung und eines Infekts; 2007. 29 Tage Fehlzeit wegen Kreuzschmerz, Zervikobrachial-Syndrom und Gonarthrose; 2008: 3 Tage Fehlzeit wegen chronischer Sinusitis). Mit Widerspruchsbescheid vom 12. Mai 2009 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Angesichts der Fehlzeiten lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass eine behinderungsbedingte Kündigung bevorstehe. Die Schikane durch ihren Arbeitgeber stehe nicht im Zusammenhang mit behinderungsbedingten Fehlzeiten.
Die Klägerin hat am 15. Juni 2009 beim Sozialgericht Heilbronn (SG) Klage erhoben. Zur Begründung verweist sie auf die Erhöhung des GdB auf 40. Die erforderliche Behandlung ihrer Erkrankungen sei sehr zeitaufwändig. Die Fehlzeiten seien nur deshalb so niedrig gewesen, weil sie Angst vor einem Verlust ihres Arbeitsplatzes gehabt habe. Die 2007 von ihrem Arbeitgeber angedrohte Kündigung stehe nach wie vor im Raum.
Das SG hat nach schriftlicher Befragung des Arbeitgebers, der die bisherigen Angaben bestätigte (Auskunft vom 7. Dezember 2009), die Klage mit Gerichtsbescheid vom 12. Juli 2010 abgewiesen. Zur Begründung hat es darauf verwiesen, dass eine konkrete Gefährdung des Arbeitsplatzes erforderlich sei. Dazu müssten Tatsachen dargetan und ggf. bewiesen sein, die die Prognose einer behinderungsbedingten deutlichen Risikoerhöhung des Arbeitsplatzverlustes trügen. Solche Tatsachen seien weder dargetan noch ersichtlich. Die Klägerin habe selbst vorgetragen, ihr Chef schikaniere sie nicht wegen i...