Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Beiladung eines anderen Leistungsträgers. Anspruch auf Rücknahme eines Verwaltungsakts nach § 44 SGB 10 als Streitgegenstand. Asylbewerberleistung. Analogleistung. keine Anrechnung der Leistungen nach § 1a AsylbLG auf die Vorbezugszeit nach § 2 Abs 1 AsylbLG aF
Leitsatz (amtlich)
1. Wenn ursprünglich allein die Frage eines Anspruchs auf Rücknahme eines bestandskräftigen Bescheides gemäß § 44 SGB X streitgegenständlich war, kommt die Verurteilung eines anderen, für die Rücknahme des Bescheides unzuständigen Leistungsträgers zur Leistungsgewährung nach § 75 Abs 5 SGG nicht in Betracht; der andere Leistungsträger ist daher nicht zu beizuladen.
2. Leistungen nach § 1a AsylbLG sind auf die Vorbezugszeit im Sinne des § 2 Abs 1 AsylbLG in der vom 28.8.2007 bis 28.2.2015 geltenden Fassung nicht anzurechnen.
Tenor
Die Berufung der Klägerin zu 2 wird als unzulässig verworfen.
Die Berufungen der Kläger zu 1 und 3 bis 6 gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19. Mai 2015 werden zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von sogenannten Analogleistungen nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) für die Zeit vom 1. Januar 2009 bis 28. Februar 2011 (Kläger zu 1, 3 und 6) bzw. bis zum 31. Oktober 2011 (Kläger zu 4 und 5).
Der Kläger zu 1 ist 1956 geboren. Er ist mit der in 1957 geborenen Klägerin zu 6 verheiratet. Die Klägerin zu 2 ist 1987, die Klägerin zu 3 in 1999, der Kläger zu 4 in 1989 und der Kläger zu 5 in 1983 geboren. Die Kläger zu 2 bis 5 sind die Kinder der Kläger zu 1 und 6. Die Kläger zu 1 bis 5 besitzen die Staatsangehörigkeit der Republik Armenien, die Klägerin zu 6 die Staatsangehörigkeit der Republik Aserbaidschan.
Die Kläger reisten in den Jahren 2000 bis 2001 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragten hier die Gewährung von Asyl. Ihre Asylanträge wurden abgelehnt. Die Abschiebung wurde in der Folgezeit immer wieder ausgesetzt.
Der Beklagte gewährte den Klägern für die Zeit ab August 2003 zunächst gekürzte Leistungen nach § 1a AsylbLG a.F. mit der Begründung, dass sie bei der Passbeschaffung nicht mitgewirkt hätten. Dabei kürzte er den Barbetrag nach § 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG a.F. (Bescheid vom 1. Juli 2004).
Mit Bescheid vom 9. August 2005 gewährte der Beklagte den Klägern zu 1 bis 4 und 6 auch Leistungen nach § 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG a.F. für Juli bis September 2005 unter Vorbehalt des Widerrufs, dass im verwaltungsgerichtlichen Verfahren festgestellt werde, dass die Kläger nicht an der Passbeschaffung mitgewirkt hätten. In den Folgebescheiden gewährte der Beklagte den Klägern ebenfalls Leistungen nach § 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG für die Zeit bis April 2006, wiederum unter Vorbehalt des Widerrufs.
Mit Bescheid vom 8. Februar 2006 gewährte der Beklagte dem Kläger zu 5 ebenfalls Leistungen nach § 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG a.F. für Oktober 2005 bis März 2006 unter dem Vorbehalt des Widerrufs, dass im verwaltungsgerichtlichen Verfahren festgestellt werde, dass er nicht an der Passbeschaffung mitgewirkt habe.
Durch Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 15. Februar 2006 sind Klagen der Kläger zu 1 und 5 auf Erteilung einer Duldung als Ausweisersatz abgewiesen worden. Ein Widerruf der von Juli 2005 bis April 2006 bzw. von Oktober 2005 bis März 2006 unter Vorbehalt des Widerrufs gewährten Leistungen erfolgte nicht.
Ab April 2006 (Kläger zu 5) bzw. ab Mai 2006 (Kläger zu 1 bis 4 und 6) bis zum 7. April 2009 gewährte der Beklagte den Klägern erneut Leistungen nach § 1a AsylbLG a.F.
Gegen den Bescheid vom 1. Juli 2004 legten die Kläger zu 1 bis 3 und 6 erfolglos Widerspruch ein (Widerspruchsbescheid vom 8. Mai 2006). Die hiergegen beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobene Klage (S 4 AY 2708/06) wurde abgewiesen. Im Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht (LSG) Stuttgart (L 7 AY 1580/07) schlossen die Beteiligten am 5. August 2009 einen Vergleich mit dem Inhalt, dass die Kläger an einer Expertenanhörung der Botschaft der Republik Armenien teilnehmen. Erkenne die Botschaft die armenische Staatsangehörigkeit der Kläger an, bezahle der Beklagte für die Zeit ab dem 1. November 2006 die bislang nicht gewährten Leistungen nach § 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG a.F. Für die Zeit ab 8. April 2009 bewilligte der Beklagte den Klägern Leistungen nach § 3 AsylbLG a.F. Der Kläger zu 4 bezog keine Leistungen zwischen Januar und August 2008, der Kläger zu 5 keine Leistungen zwischen Juni und September 2010.
Mit Schreiben vom 10. Mai 2010 beantragten die Kläger zu 1 bis 4 und 6 die Erfüllung des Vergleichs vom 5. August 2009. Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 16. September 2010 zunächst ab. Nach Widerspruchserhebung hob der Beklagte den angegriffenen Bescheid mit Bescheid vom 4. Januar 2012 auf und verwies die Kläger auf die Vorschriften der Vollstreckung (Schreiben vom 5. Januar 2012).
Am 27. Mai 2010 stellten die Kläger einen Asylfolge...