Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit. geringfügig entlohnter LKW-Fahrer ohne Güterkraftverkehrslizenz. abhängige Beschäftigung. selbstständige Tätigkeit. Abgrenzung. unverschuldete Unkenntnis von der Pflicht zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen. keine besondere Sachkunde eines Steuerberaters auf dem Gebiet des Sozialversicherungsrechts
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Sozialversicherungspflicht eines im Rahmen eines sog Minijobs beschäftigten LKW-Fahrers.
2. Eine unverschuldete Unkenntnis von der Zahlungspflicht liegt nicht vor, wenn es der Beitragspflichtige bzw Arbeitgeber bei Unklarheiten hinsichtlich der versicherungs- und beitragsrechtlichen Beurteilung einer Erwerbstätigkeit unterlässt, die Entscheidung einer fachkundigen Stelle einzuholen (Anschluss an BSG vom 24.3.2016 - B 12 KR 20/14 R = SozR 4-2400 § 7 Nr 29).
3. Ein Steuerberater verfügt nicht über eine vergleichbare besondere Sachkunde auf dem Gebiet des Sozialversicherungsrechts.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 28. Juli 2020 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst zu tragen haben.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 41.178,50 € festgesetzt.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen und Säumniszuschlägen für eine Tätigkeit des Beigeladenen Ziff. 1 im Zeitraum 01.10.2010 bis 31.12.2013 in Höhe von insgesamt 41.178,50 € streitig.
Der Kläger betreibt ein Unternehmen, das Kurierfahrten, Transporte und Speditionsdienstleistungen u. ä. anbietet. Der Beigeladene Ziff. 1 war ab 2010 als Fahrer für den Kläger tätig; für die Fahrten nutzte er die Lkw des Klägers. Für die einzelnen Fahrten wurde jeweils mündlich ein Pauschalpreis zwischen dem Kläger und dem Beigeladenen Ziff. 1 vereinbart. Dieser orientierte sich an einem Stundenlohn von 8,00 €. Die Ehefrau des Beigeladenen Ziff. 1 hatte eine freie Handelsvertretung angemeldet und stellte über diese dem Kläger die Fahrten des Beigeladenen Ziff. 1 in Rechnung. Da weder die Ehefrau des Beigeladenen Ziff. 1 noch der Beigeladene Ziff. 1 über eine Lizenz nach § 3 Güterkraftverkehrsgesetz (GüKG) verfügten, beschäftigte der Kläger den Beigeladenen Ziff. 1 im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung. Für die vereinbarte geringfügige Beschäftigung erhielt der Beigeladene Ziff. 1 einen pauschalen Aushilfslohn in Höhe von 200,00 €. Dieser Betrag wurde auf die Rechnungen, die die Ehefrau des Beigeladenen Ziff. 1 dem Kläger stellte, angerechnet, dort aber nicht gesondert ausgewiesen. Ab 2013 wurde der Beigeladene Ziff. 1 bei dem Kläger abhängig beschäftigt.
Nach einem Ermittlungsverfahren des Hauptzollamtes S erließ das Amtsgericht (AG) S1 am 27.06.2013 einen Strafbefehl wegen des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt für mehrere Arbeitnehmer des Klägers in Höhe von 76.800,00 €, der nach Einspruch des Klägers und nach Beschränkung des Einspruchs in der Hauptverhandlung auf den Rechtsfolgenausspruch auf eine Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 200,00 € abgeändert wurde. Der Beigeladene Ziff. 1 wurde im Rahmen der Hauptverhandlung vor dem AG Spaichingen (1 Cs 12 Js 6823/11) am 30.03.2015 als Zeuge vernommen.
Nach Anhörung vom 30.06.2016 forderte die Beklagte mit Bescheid vom 08.03.2017 insgesamt 41.178,50 € für den Prüfzeitraum vom 01.01.2010 bis zum 31.12.2013 nach. In der Nachforderung waren Säumniszuschläge in Höhe von 16.730,50 € enthalten. Sie begründete dies damit, dass nach Übersendung von Unterlagen durch das Hauptzollamt S festgestellt worden sei, dass für den Beigeladenen Ziff. 1 Beiträge in oben genannter Höhe nachzufordern seien. Der Beigeladene Ziff. 1 sei im Zeitraum 15.01.2010 bis 30.04.2011 als Fahrer für den Kläger tätig gewesen. Hierbei habe es sich um eine beitragspflichtige Beschäftigung gehandelt.
Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 05.12.2017 als unbegründet zurück. Die Tätigkeit des Beigeladenen Ziff. 1 sei als abhängig beschäftigter Fahrer für die Firma des Klägers einzustufen. Der Beigeladene Ziff. 1 sei in die Betriebsorganisation des Klägers eingegliedert gewesen. So habe die Firma des Klägers die Aufträge akquiriert und diese an den Beigeladenen Ziff. 1 weitergegeben. In der Hauptverhandlung vor dem AG Spaichingen habe der Beigeladene Ziff. 1 angegeben, dass die Gespräche und Vereinbarungen zu Fahrten für die Firma des Klägers stets zwischen ihm und dem Kläger erfolgt seien. Die Ehefrau des Beigeladenen Ziff. 1 sei daran nicht beteiligt gewesen. Ab Übernahme eines Fahrauftrages sei der Beigeladene Ziff. 1 an dessen Inhalt gebunden gewesen. Weitergehende Freiheiten als ein Arbeitnehmer habe der Beigeladene Ziff. 1 in seiner Tätigkeit für die Firma des Klägers im Hinblick auf Art, Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsausführung nicht gehabt. Der Beigeladene Ziff. 1 sei in die Betriebsorganisation ...