Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialversicherungspflicht - Notärztin im Rettungsdienst - abhängige Beschäftigung - selbstständige Tätigkeit - Abgrenzung. Anfechtung von Verwaltungsakten mit Doppelwirkung
Leitsatz (amtlich)
1. Notärzte, die an der notärztlichen Versorgung im Rettungsdienst teilnehmen, die im Rahmen dessen in einen Dienstplan eingeteilt sind und mit den Rettungssanitätern sowie Rettungsassistenten arbeitsteilig zusammenwirken, üben eine abhängige Beschäftigung aus.
2. Dem steht nicht entgegen, dass der dem Kläger übertragene Rettungsdienst ebenso wie die notärztliche Versorgung eine öffentlich-rechtliche Aufgabe darstellt und auf der Grundlage des Rettungsdienstgesetzes Baden-Württemberg, des Rettungsdienstplanes sowie weiteren Vereinbarungen durchgeführt wird und dem Kläger dabei keine ausdrückliche Verpflichtung auferlegt wurde, selbst dafür Sorge zu tragen, dass die benötigten Notärzte bereitstehen.
3. Zur Anfechtung von Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (Drittanfechtungsklage).
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 11. September 2018 abgeändert und der Tenor wie folgt gefasst:
Die Bescheide der Beklagten vom 22. März 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. November 2016 werden insoweit aufgehoben, als die Beklagte feststellte, dass in der Beschäftigung der Beigeladenen als Notärztin ab 1. August 2015 Versicherungspflicht in der Rentenversicherung besteht.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Verfahrens trägt der Kläger vier Fünftel und die Beklagte ein Fünftel. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 5.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist der sozialversicherungsrechtliche Status der Beigeladenen in ihrer Tätigkeit für den Kläger als Notärztin im Rettungsdienst streitig.
Träger des Rettungsdienstes in Baden-Württemberg (vgl. § 2 Gesetz über den Rettungsdienst [RDG]) sind die beiden baden-württembergischen Landesverbände des D. R. K. (DRK; Vereinbarung mit dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Sozialordnung Baden-Württemberg vom 22. April 1976), wobei die Durchführung des Rettungsdienstes für den Rettungsdienstbereich des Landkreises R. auf den Kläger übertragen wurde. Dieser hat die für eine bedarfsgerechte Versorgung notwendigen Strukturen in Form von Einrichtungen und deren personelle und sächliche Ausstattung vorzuhalten. Dementsprechend betreibt der Kläger die integrierte Rettungsleitstelle (vgl. § 6 RDG) mit Sitz in R., insgesamt fünf Rettungswachen (vgl. § 7 RDG) mit drei Notarztstandorten, sowie Rettungsfahrzeuge (§ 8 RDG) mit der entsprechenden Ausstattung. Zur Sicherstellung der notärztlichen Versorgung im Rettungsdienst schlossen die Kassenärztlichen Vereinigungen in Baden-Württemberg, die Landesärztekammer Baden-Württemberg, die Baden-Württembergische Krankenhausgesellschaft, die Landesverbände der Kostenträger und die Rettungsdienstorganisationen die „Rahmenvereinbarung über die Mitwirkung von an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzten (Vertragsärzten) und Nichtvertragsärzten sowie von Krankenhausärzten im Rettungsdienst nach § 10 des Rettungsdienstgesetzes Baden-Württemberg (RDG) mit Anlage 1 und 3“, die am 1. Januar 1994 in Kraft trat (im Folgenden: Rahmenvereinbarung). Nach § 1 Abs. 1 der Vereinbarung wirken gemäß § 10 Abs. 1 RDG geeignete Ärzte im Rettungsdienst mit (Notärzte), wobei die Eignungsvoraussetzungen durch Satzung der Landesärztekammer festgelegt wird. Die Krankenhausträger sind im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit verpflichtet, Ärzte gegen Kostenausgleich zur Verfügung zu stellen. Die niedergelassenen Ärzte wirken im Rahmen des Sicherstellungsauftrags nach § 75 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) mit. Nach Abs. 2 der Regelung arbeiten Kassenärztliche Vereinigungen und Krankenhausträger bei der Erfüllung dieser Aufgaben eng zusammen. Die Landesärztekammer wirkt auf die Beteiligung von Nichtvertragsärzten nach Maßgabe dieser Rahmenvereinbarung hin. Im Hinblick auf die Tätigkeit der Notärzte enthält die Rahmenvereinbarung u.a. folgende Regelung
„§ 3
1. Der Notarzt übernimmt die ärztliche Versorgung des Notfallpatienten am Einsatzort und erforderlichenfalls während des Transports in eine für die weitere Versorgung geeignete Einrichtung sowie die Dokumentation des Einsatzes. Er ist während seines Einsatzes gegenüber dem Rettungsdienstpersonal fachlich weisungsbefugt.
2. Der Notarzt erreicht den Einsatzort mit dem Notarztwagen, einem Notarzteinsatzfahrzeug oder einem anderen Fahrzeug. Für die Benutzung eines Privatfahrzeugs im Rahmen des Rettungsdienstes ist von den Trägern des Rettungsdienstes eine Vollkaskoversicherung ohne Selbstbehalt abzuschließen. ...