Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziales Entschädigungsrecht. Gewaltopfer. Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG. widersprüchliche Angaben des Antragstellers. unstimmige Äußerungen im privaten Bereich
Leitsatz (amtlich)
1. Gegen die "gute Möglichkeit" einer Gewalttat nach § 1 OEG im Rahmen einer Glaubhaftmachung nach § 15 KOVVfG spricht, wenn mehrere Angaben des Antragstellers zu ferneren Begleitumständen der Tat widerlegt sind bzw sie sich nicht erweisen lassen, obwohl dies sicher möglich sein müsste.
2. Das Gleiche gilt, wenn der Antragsteller im privaten Bereich mehrere Male ausführt, er habe mit seinen Beschuldigungen einen Fehler gemacht, könne sie aber nicht zurücknehmen, wenn hierdurch der Eindruck entsteht, dass der Antragsteller fremdgesteuert wird.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 23. Juni 2016 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG), in erster Linie eine Beschädigtengrundrente. Sie macht einen vieljährigen sexuellen Missbrauch sowie Gewalttätigkeiten vor allem durch ihren Vater, den Zeugen K., in D. vor und nach dem 3. Oktober 1990 geltend.
Die Klägerin ist im August 1980 geboren und in D. (damals in der Deutschen Demokratischen Republik) aufgewachsen. Sie hat einen etwa ein Jahr älteren Bruder. Sie absolvierte die Grundschule und eine weiterführende Schule bis zur 10. Klasse. Danach war sie auf einer Fachhochschule (Fachschule) für Elektrotechnik, erwarb aber keinen Abschluss, nach ihren späteren Angaben wegen “Schwänzens„. Es schloss sich eine Ausbildung als Industriekauffrau mit Abschluss in einem Unternehmen ihres Vaters an.
Vor dem Jahre 2005 gründete die Klägerin in D. ein einzelkaufmännisches Unternehmen für Baudienstleistungen. Sie beschäftigte mehrere Mitarbeiter, von denen sie einige aus anderen Unternehmen übernommen hatte, die ihr Vater betrieben hatte. Sie stellte den Geschäftsbetrieb zum 31. Januar 2006 ein. Auf Antrag eines Gläubigers eröffnete das Amtsgericht (AG) D. (Insolvenzgericht) am 8. März 2006 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin (XX). Nach der Aufhebung des Verfahrens im Jahre 2008 absolvierte die Klägerin die Wohlverhaltensperiode von sechs Jahren. Mit Beschluss vom 27. April 2012 erteilte das AG D. der Klägerin Restschuldbefreiung. Während des Insolvenzverfahrens hatte einer der Gläubiger Strafanzeige erstattet. Die Staatsanwaltschaft D. hatte daraufhin ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Subventionsbetrugs gegen die Klägerin eingeleitet. Nach Erhebung der Anklage (XX) hatte das AG D. (Strafabteilung) das Strafverfahren zunächst mit Beschluss vom 2. April 2008 vorläufig eingestellt, weil die Klägerin voraussichtlich längerfristig verhandlungsunfähig sei, und sodann mit weiterem Beschluss vom 19. August 2008 wegen geringer Schuld ohne Auflagen endgültig eingestellt.
Während dieser Zeit, am 14. Mai 2007, regte der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie N., bei dem sich die Klägerin in Behandlung befand, bei dem AG D. (Vormundschaftsgericht) die vorläufige Einrichtung einer Betreuung an (XX). Er teilte mit, bei der Klägerin bestehe eine schwere Persönlichkeitsstörung, zusammen mit am ehesten einer Angststörung. Die Klägerin könne ihre Angelegenheiten nicht mehr allein regeln. Sie wohne weiterhin bei ihren Eltern, wegen “familiärer Konfliktsituationen„ schieden aber beide als rechtliche Betreuer aus. Mitarbeiter der Betreuungsbehörde bei der Landeshauptstadt D. suchten die Klägerin zu Hause auf und berichteten darüber dem AG D. am 6. Juni 2007. Die Klägerin bewohne bei ihren Eltern ein kleines, abgewohntes Zimmer, dessen Einrichtung einem jungen Kind entspreche. Sie habe angegeben, aktuell keine Einkünfte zu haben, weil sie aus Angst versäumt habe, beim Jobcenter einen Weiterzahlungsantrag zu stellen. Sie sitze hauptsächlich in ihrem Zimmer, gehe aber seit vielen Jahren zweimal wöchentlich zum Fußballtraining und einmal wöchentlich zu einer Gesprächstherapie. Sie wolle gern ausziehen, schaffe das aber nicht. Auf die Mitarbeiter der Betreuungsbehörde machte die Klägerin einen extrem gehemmten, antriebslosen und verunsicherten Eindruck. Die Gesprächsführung sei mühsam gewesen, die Klägerin habe nur bruchstückhaft und vage geantwortet. Es sei von Betreuungsbedarf in mehreren Bereichen auszugehen. Die Klägerin habe gebeten, keinen Kontakt zu ihren Eltern aufzunehmen. Ferner erstattete im Auftrag des AG D. die Psychiaterin M. das Gutachten vom 8. Juni 2007. Sie führte nach einer Untersuchung der Klägerin aus, es beständen eine Persönlichkeitsstörung am ehesten vom Borderline-Typ (F60.3 ICD-10 GM) bzw. mit abhängigen und asthenischen Anteilen (F60.7), eine generalisierte Angststörung (F41.1) mit überwiegend sozialen Ängsten, wahrscheinlich auch eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS, F43.1). Die Klägerin sei seit 2006 in psychotherapeutischer Behandl...