Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer in den ersten 3 Monaten des Aufenthalts. Nichtanwendung auf nachziehenden ausländischen Ehegatten bei Zuzug zum ausländischen Ehegatten mit Daueraufenthaltsrecht
Leitsatz (amtlich)
Für nachziehende ausländische Ehegatten eines im Bundesgebiet mit Daueraufenthaltsrecht ausgestatteten Ausländers besteht kein Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB II während der ersten drei Monate.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 30. April 2015 aufgehoben. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 1. August 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. September 2014 verurteilt, der Klägerin Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) auch für die Zeit vom 1. Juli 2014 bis 30. September 2014 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Der Beklagte hat der Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II), hilfsweise von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) für die ersten drei Monate nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet.
Die 1995 geborene Klägerin türkischer Staatsangehörigkeit reiste am 01.07.2014 mit einem vom Deutschen Generalkonsulat Istanbul ausgestellten, vom 18.06.2014 bis 15.09.2014 gültigen Visum zum Zwecke des Familiennachzuges in die Bundesrepublik Deutschland ein zu ihrem Ehemann, den sie am 26.09.2013 in der Türkei geheiratet hatte. Nach der Einreise wurde ihr von der Ausländerbehörde der Stadt S. eine vom 10.07.2014 bis 10.07.2016 gültige Aufenthaltserlaubnis erteilt. Der Ehemann der Klägerin, der in Deutschland geboren wurde, ist türkischer Staatsangehöriger und seit dem 14.11.2013 im Besitz einer unbefristeten Niederlassungserlaubnis.
Zum 01.07.2014 bezogen die Klägerin und ihr Ehemann eine von diesem ab dem 16.06.2014 angemietete 2-Zimmer-Wohnung in der W.-R.-Str. 2A in S. (Kosten der Unterkunft insgesamt 483,- €, davon Netto-Kaltmiete 334,- €, Vorauszahlung Betriebskosten 78,- €, Vorauszahlung Heizung 71,- €). Am 10.07.2014 beantragte der Ehemann der Klägerin als Vertreter der Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem SGB II. Durch Bescheid des Beklagten vom 01.08.2014 wurden ihm Leistungen für die Zeit vom 01.07.2014 bis 31.12.2014 in Höhe von 594,50 € monatlich (Regelleistung 353,- € und Kosten der Unterkunft 241,50 €) bewilligt. Zugleich wurde die Bewilligung von Leistungen für die Klägerin abgelehnt mit der Begründung, diese habe keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes, da sie derzeit nur ein gültiges Visum mit einer Aufenthaltsdauer von drei Monaten besitze und dieses Visum nur einen vorübergehenden Aufenthalt in Deutschland begründe. Dagegen legte die Klägerin am 08.09.2014 Widerspruch ein mit der Begründung, dass sie nunmehr über einen zureichenden Aufenthaltstitel (Gültigkeitszeitraum 10.07.2014 bis 10.07.2016) verfüge. Bereits aufgrund des Visums zum Zwecke des Familiennachzuges sei sie nicht unter die gesetzlichen Ausschlusstatbestände gefallen. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24.09.2014 zurück, da die Klägerin aufgrund von § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sei.
Am 26.09.2014 hat die Klägerin dagegen Klage beim Sozialgericht (SG) Mannheim erhoben und daran festgehalten, leistungsberechtigt zu sein. Sie sei bereits bei Erlass des Bescheids vom 01.08.2014 im Besitz eines Aufenthaltstitels, nicht nur eines Visums, gewesen. Hilfsweise könne sie sich als türkische Staatsangehörige und damit als Angehörige eines Signatarstaates auf das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) berufen und sei daher leistungsberechtigt nach dem SGB II. Der hierzu am 19.12.2011 erklärte Vorbehalt der Bundesrepublik Deutschland stehe dem nicht entgegen, da die Erklärungsfrist für einen Vorbehalt bereits verstrichen gewesen sei; die übrigen Anspruchsvoraussetzungen nach den SGB II seien nicht streitig.
In der (nichtöffentlichen) Sitzung des SG vom 25.03.2015 hat der Beklagte sich verpflichtet, der Klägerin für die Monate Oktober, November und Dezember 2014 Leistungen nach dem SGB II auszuzahlen. Dieses Teilanerkenntnis hat die Klägerin angenommen.
Durch Urteil vom 30.04.2015, welches ohne mündliche Verhandlung ergangen ist, hat das SG Mannheim die (verbliebene) Klage abgewiesen, soweit diese über das Teilanerkenntnis des Beklagten hinausgeht. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, die Klägerin erfülle zwar die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Sie habe das 15. Lebensjahr vollendet und die maßgebliche Altersgrenze noch nicht erreicht, sei - soweit ersichtlich - erwerbsfähig sowie hilfebedürftig und habe ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Der Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II im streitigen Zeitr...