Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Hilfe zum Lebensunterhalt. notwendiger Lebensunterhalt in Einrichtungen. weiterer notwendiger Lebensunterhalt. angemessener Barbetrag zur persönlichen Verfügung. Mindestbarbetrag. Erhöhung des Mindestbarbetrags. Einzelfallentscheidung. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

1. Bei dem in stationären Einrichtungen tatsächlich erbrachten Lebensunterhalt und dem weiteren notwendigen Lebensunterhalt handelt es sich um einander korrespondierende Komplexleistungen mit Bedarfsdeckungsfunktion. Unter Berücksichtigung von Einzelfallgesichtspunkten ist deshalb zu prüfen, ob der gesetzliche Mindestbarbetrag ausreicht, um zusammen mit dem in der Einrichtung geleisteten Lebensunterhalt den notwendigen Lebensunterhalt des Hilfebedürftigen vollständig sicherzustellen (vgl BSG vom 26.8.2008 - B 8/9b SO 10/06 R = BSGE 101, 217 = SozR 4-3500 § 133a Nr 1, RdNr 19).

2. Mit dem Barbetrag soll ein schwer quantifizierbarer Bedarf abgedeckt werden, der darin besteht, dass dem Hilfeempfänger über den institutionell vorgegeben Rahmen hinaus mit einem „Taschengeld“ ein persönlicher Freiraum zur Deckung zusätzlicher Aufwendungen unter Berücksichtigung seines Wunsch- und Wahlrechts verbleiben soll, um Bedarfe zu decken, die außerhalb des erforderlichen institutionellen Angebots liegen, insbesondere bezüglich des soziokulturellen Bereichs, oder das im eigentlichen Sinne durch die Einrichtung bereits gesicherte existenzielle Minimum überschreiten.

3. Eine Erhöhung des Barbetrages kommt nicht in Betracht, wenn es sich bei den geltend gemachten Kosten nicht um Kosten handelt, die kategorial dem Barbetrag zuzuordnen sind, wenn es sich nicht um atypische Kosten handelt, die zu einer Erhöhung des Barbetrages im konkreten Einzelfall führen, oder wenn abschließende Sonderregelungen entgegenstehen.

4. § 27b Abs 2 S 2 SGB 12 ist mit höherrangigem Recht, insbesondere mit Verfassungsrecht, vereinbar.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 23.03.2021; Aktenzeichen B 8 SO 16/19 R)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 8. Juni 2016 wird zurückgewiesen.

Die Klagen gegen die Bescheide vom 22. Juni 2016, vom 24. November 2016, vom 28. Dezember 2016, vom 7. August 2017, vom 20. Dezember 2017, vom 19. Juli 2018 und vom 2. Januar 2019 werden abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt im Rahmen der Gewährung von Hilfe zur Pflege nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) einen höheren Barbetrag.

Die Klägerin ist 1971 geboren. Sie leidet unter Multipler Sklerose. Seit 13. August 2015 ist sie vollstationär im Pflegeheim M., einem Eigenbetrieb des Beklagten, in W. untergebracht. Sie bezieht mehrere Renten. Am 6. August 2015 beantragte sie beim Beklagten die Gewährung von Hilfe zur Pflege.

Der Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 14. September 2015 Hilfe zur Pflege ab dem 13. August 2015. Die Hilfe umfasse die genehmigten Pflegesätze der Einrichtung und erstrecke sich dabei auch auf den in der Einrichtung erbrachten Lebensunterhalt (Unterkunft/Ernährung/Barbetrag). Mit ihrem Einkommen habe sich die Klägerin an den Pflegekosten und dem Lebensunterhalt in der Einrichtung zu beteiligen. Ihr monatlicher selbst an die Einrichtung zu leistender Anteil betrage derzeit 1.075,23 Euro, der von ihr zu leistende „Eigenanteil“ werde jeweils durch eine gesonderte Entscheidung „festgesetzt“. Der anteilige Betrag für August 2015 betrage 659,01 Euro. Zusätzlich habe die Klägerin einmalig einen Betrag von 460,08 Euro als Kostenbeitrag aus Vermögen zu entrichten. Der monatliche „Eigenanteil“ werde durch eine gesonderte Entscheidung formell „festgesetzt“. Die Klägerin habe diesen „Eigenanteil“ bis auf Weiteres jeden Monat direkt an die Einrichtung zu leisten. Bei der „Festsetzung“ des „Eigenanteils“ werde berücksichtigt, dass der Klägerin ein Barbetrag zustehe. Dieser werde der Einfachheit halber beim einzusetzenden Einkommen abgesetzt (Einkommen abzüglich Barbetrag = Eigenanteil), der Barbetrag werde dem zufolge nicht über die Einrichtung ausbezahlt.

Mit Bescheid vom 15. September 2015 „setzte“ der Beklagte gegenüber der Klägerin den von ihr zu leistenden „Eigenanteil“ an die Einrichtung auf 1.075,23 Euro monatlich „fest“. Die Klägerin habe diesen „Eigenanteil“ bis zu einer „Neufestsetzung“ jeden Monat direkt an die Einrichtung zu leisten. Der Betrag ergebe sich aus dem anrechenbaren Einkommen in Höhe von 1.182,96 Euro abzüglich eines Barbetrages von 107,73 Euro.

Gegen den Bescheid vom 15. September 2015 erhob die Klägerin mit Schreiben vom 21. September 2015 Widerspruch. Der Bescheid entspreche zwar insgesamt dem aktuellen Stand des SGB XII. Die Auslegung der für die Erstellung des Bescheides angewendeten Vorschriften des SGB XII (§ 27b Abs. 2 Satz 2 SGB XII) halte sie jedoch für verfassungswidrig. Gemäß § 27b Abs. 2 Satz 2 SGB XII erhielten alleinstehende Leistungsberechtigte, die das 18. Lebensjahr vollendet hätten, in Einrichtungen au...

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