Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. selbstständige Arbeit. Einkommensschätzung. nicht ausreichende Darlegung der Grundlagen der Schätzung
Leitsatz (amtlich)
Bei der Schätzung des Einkommens im Rahmen einer endgültigen Festsetzung des Leistungsanspruchs handelt es sich nicht um eine Ermessensentscheidung. Voraussetzungen, Durchführung und Ergebnis der Schätzung sind gerichtlich voll überprüfbar. Der Grundsicherungsträger hat die Grundlagen seiner Schätzung zu ermitteln und nach vorheriger Anhörung des Leistungsempfängers im Bescheid diese Grundlagen darzulegen die daraus vorgenommene Schätzung zu begründen.
Normenkette
SGB II § 7 Abs. 1 S. 1, § 9 Abs. 1, § 11 Abs. 1 Sätze 1-2, § 40 Abs. 2 Nr. 1; Alg II-VO a.F. § 3 Abs. 1-2, 6; SGB III § 328 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, S. 3, Abs. 3 S. 2
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 28. November 2014 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger auch seine notwendigen außergerichtlichen Kosten für das Berufungsverfahren zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die endgültige Festsetzung der Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 1. August 2010 bis 31. Januar 2011 durch den Beklagten und die damit verbundene Rückforderung eines Betrages in Höhe von 4.133,28 € rechtmäßig ist.
Der 1959 geborene Kläger, der bis Januar 2009 als angestellter Konstrukteur beschäftigt war, bezog danach von der Bundesagentur für Arbeit bis Oktober 2009 Arbeitslosengeld (Alg) I nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) und für die Zeit vom 27. Oktober 2009 bis 26. Juli 2010 einen Gründungszuschuss für die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit am 27. Oktober 2009 in Höhe von monatlich 1.536,30 € (einschließlich einer Pauschale von 300,00 € zur sozialen Sicherung).
Der Kläger beantragte am 27. Juli 2010 die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II - Alg II/Sozialgeld - und gab unter Vorlage einer Erklärung zum Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit, Gewerbebetrieb oder Land- und Forstwirtschaft (Anlage EKS) an, eine Einschätzung der Betriebseinnahmen sei nicht möglich. Hierauf bewilligte ihm der Beklagte unter Berücksichtigung einer am 13. August 2010 zugeflossenen Einkommensteuererstattung in Höhe von 804,83 € (verteilt auf sechs Monate und abzüglich einer Pauschale von 30,00 €) mit Bescheid vom 24. August 2010 für die Zeit vom 1. August 2010 bis 31. Januar 2011 Leistungen in Höhe von 659,86 € monatlich (Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts 254,86 € und Kosten für Unterkunft und Heizung 405,00 €) und Änderungsbescheid vom 4. Oktober 2010 (Neuberechnung wegen Berücksichtigung höherer Kosten für Unterkunft und Heizung mit 448,53 €) ab 1. Oktober 2010 in Höhe von 703,39 € jeweils vorläufig. Die Bescheide enthielten u.a. die weiteren Hinweise, die Einnahmen bzw. Ausgaben aus selbstständiger Tätigkeit im Bewilligungszeitraum seien auf Grund der Angaben zum voraussichtlichen Einkommen zunächst vorläufig festgesetzt worden. Eine abschließende Entscheidung sei erst möglich, wenn die tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben im Bewilligungszeitraum feststünden. Den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 24. August 2010, mit dem er höhere Leistungen begehrte und geltend machte, er erziele nach wie vor keine Einnahmen aus der selbstständigen Tätigkeit, die sich auf 15 Stunden pro Woche beschränke, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 5. Oktober 2010 zurück, da die am 13. August 2010 zugeflossene Steuererstattung anzurechnen und auf die Bewilligungsmonate zu verteilen sei.
Gemäß einem vom Kläger bereits am 8. September 2010 vorgelegten Schreiben an das Finanzamt G. (FinA) vom 19. Juli 2010 hatte er diesem mitgeteilt, er stelle seine freiberufliche Tätigkeit als Konstrukteur zum 25. Juli 2010 ein.
Mit Schreiben vom 1. März 2011 bat der Beklagte den Kläger mit Hinweis auf dessen Mitwirkungspflichten um Angaben zum Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit von August 2010 bis Januar 2011 unter Verwendung des beigefügten Vordrucks. Wenn die erforderlichen Unterlagen nicht innerhalb der gesetzten Frist vorgelegt werden sollten, werde er von der nach § 3 Abs. 6 Arbeitslosengeld II-Verordnung (Alg II-V) eröffneten Möglichkeit Gebrauch machen und das Einkommen schätzen, wobei mangels geeigneter Unterlagen bei der Schätzung davon auszugehen sein werde, dass im abgelaufenen Bewilligungszeitraum Hilfebedürftigkeit nicht vorliege.
Nachdem eine Äußerung des Klägers nicht einging, hörte ihn der Beklagte mit Schreiben vom 1. März 2011 zur - mangels Nachweises seiner Einkünfte - beabsichtigten Schätzung des Einkommens im Bewilligungszeitraum “mangels geeigneter Unterlagen„ auf durchschnittlich 950,00 € pro Monat an. Mit den geschätzten Einkommensverhältnissen sei der Kläger nicht hilfebedürftig, weshalb ein Anspruch auf Leistungen nicht mehr bestehe. Es sei Einkommen erzielt wor...