Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Klage auf Verzinsung einer Nachzahlung nach dem AsylbLG. Vorverfahren als Klagevoraussetzung. fehlende Rechtsgrundlage. keine direkte oder analoge Anwendung des § 44 SGB 1. keine Anwendbarkeit der §§ 288, 291 BGB
Leitsatz (amtlich)
1. Für die Verzinsung von Leistungen nach dem AsylbLG gibt es keine Rechtsgrundlage. Insbesondere ist § 44 SGB 1 nicht anwendbar, weil das AsylbLG nicht zu den Sozialleistungsbereichen gehört, die vom SGB 1 erfasst werden.
2. Für eine analoge Anwendung des § 44 SGB 1 oder der §§ 288, 291 BGB ist kein Raum.
3. Es bleibt offen, ob die Zulässigkeit einer auf Verzinsung eines Leistungsbetrages gerichteten Klage die vorherige Durchführung eines Verwaltungs- und Widerspruchsverfahrens konkret in Bezug auf eine Verzinsungsentscheidung voraussetzt (vgl BSG vom 16.12.1997 - 4 RA 56/96).
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 25. Januar 2011 aufgehoben, soweit der Beklagte zur Verzinsung des Nachzahlungsbetrages verurteilt wurde. Insoweit werden die Klagen abgewiesen.
Der Beklagte hat 9/10 der außergerichtlichen Kosten der Kläger in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Berufungsverfahren noch darum, ob der Beklagte verpflichtet ist, die Nachzahlung der Differenz zwischen so genannten Analogleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) und den Grundleistungen (§ 3 AsylbLG) mit 4 % zu verzinsen.
Die Kläger sind eine aus dem e. J. (S.-M.) stammende Familie und haben mehrere Jahre lang bis zum 31. Juli 2008 Grundleistungen nach dem AsylbLG bezogen. Auf den im November 2009 gestellten, auf § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) gestützten Antrag auf rückwirkende Erbringung so genannter Analogleistungen für die Zeit ab dem 1. Januar 2005 bewilligte der Beklagte den Klägern mit Bescheid vom 24. Juni 2010 lediglich einen Nachzahlungsbetrag in Höhe von jeweils 750,00 Euro (zusammen 3750,00 Euro). Die Verzinsung dieses Betrages wurde abgelehnt, weil nach Auffassung des Beklagten die Regelung des § 44 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) auf Ansprüche auf Geldleistungen nach dem AsylbLG nicht anwendbar sei. Für die Verzinsung des Rückzahlungsbetrages bestehe keine Rechtsgrundlage.
Nach erfolglosem Widerspruch (Widerspruchsbescheid vom 20. Oktober 2010) haben die Kläger am 3. November 2010 zum Sozialgericht (SG) Mannheim Klage erhoben.
Mit Urteil vom 25. Januar 2011 hat das SG Mannheim den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 24. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Oktober 2010 verurteilt, den Klägern bzw. Klägerinnen im Rahmen von § 44 SGB X für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum 31. Juli 2008 die volle Differenz zwischen den Analogleistungen (§ 2 AsylbLG) und den Grundleistungen (§ 3 AsylbLG) nachzuzahlen und den Nachzahlungsbetrag mit 4 % zu verzinsen. Hinsichtlich der Verzinsung verweist das SG darauf, dass dieser Anspruch auf § 44 SGB I beruhe.
Gegen dieses ihm am 9. Februar 2011 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 21. Februar 2011 zum Landessozialgericht Baden-Württemberg Berufung eingelegt. Die zunächst auf voll umfängliche Aufhebung des Urteils des SG gerichtete Berufung wurde mit Schriftsatz vom 22. Juni 2011 im Wesentlichen zurückgenommen und nur noch insoweit aufrechterhalten, als durch das SG eine Verurteilung zur Verzinsung des Nachzahlungsbetrages erfolgt war. Der Beklagte steht insoweit auf dem Standpunkt, dass in das AsylbLG keine Verweisungsregelung in Bezug auf § 44 SGB I aufgenommen worden sei. Eine solche sei jedoch Voraussetzung für einen Zinsanspruch der Kläger, da § 44 SGB X keine eigene Verzinsungsregelung enthalte. Es sei auch nicht sachlich gerechtfertigt, Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG diesbezüglich Leistungsberechtigten nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) gleichzustellen. Denn zum einen erkläre § 2 Abs. 1 AsylbLG das SGB XII nur für “entsprechend„ anwendbar. Zum anderen sei bei Leistungen in entsprechender Anwendung des SGB XII den Besonderheiten des AsylbLG Rechnung zu tragen. Während die Leistungen der Sozialhilfe vom Individualitätsgrundsatz ausgingen und ein existentiell gesichertes und sozial integriertes Leben der Leistungsberechtigten “auf eigenen Füßen„ in der Bundesrepublik Deutschland zum Ziel hätten, seien die Bedürfnisse der Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG am in aller Regel nur vorübergehenden Aufenthalt auszurichten. Dies könne in Einzelfällen zu einer Schlechterstellung der Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG führen, was vom Gesetzgeber jedoch bewusst in Kauf genommen worden sei und nicht dadurch umgangen werden dürfe, dass Regelungen, deren Anwendbarkeit im AsylbLG nicht ausdrücklich geregelt sei, für entsprechend anwendbar erklärt würden. § 44 SGB I sei in Übereinstimmung mit dem Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 29. Januar 2008 (S 20 AY 2/07) nur auf solche Geldleistungen anwendbar, die sich aus einem bes...