Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. GdB-Feststellung. Merkzeichen G. erhebliche Gehbehinderung. Versorgungsmedizinische Grundsätze. Verordnungsermächtigung. Übergangsregelung. Gesetzescharakter. sozialgerichtliches Verfahren. Antrag nach § 109 SGG. quantitative sensorische Testung. Unerheblichkeit der Symptomatik. Maßgeblichkeit der Funktionseinschränkungen

 

Orientierungssatz

1. Für die Bewertung des GdB und der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens G kommt es allein darauf an, dass die behinderungsbedingten Funktionseinschränkungen vorliegen, unabhängig davon welche Symptomatik ihnen zugrunde liegt. Insoweit ist die Nichtvornahme einer quantitativen sensorischen Testung nicht entscheidungserheblich.

2. Der Gesetzgeber hat mit der in § 159 Abs 7 SGB 9 getroffenen Regelung zum Ausdruck gebracht, dass er sich den insoweit maßgeblichen Verordnungstext in der Anlage zu § 2 VersMedV zu eigen macht und bis zum Inkrafttreten der neuen Verordnung nach § 70 Abs 2 SGB 9 die Versorgungsmedizinischen Grundsätze insoweit Gesetzescharakter haben.

3. Zur GdB-Feststellung im Hinblick auf verschiedene Gesundheitsstörungen nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (Anlage zu § 2 VersMedV), insbesondere nach Teil B Nr 18.9 (Wirbelsäulenschäden), Teil B Nr 18.13 (Bewegungseinschränkung des Schultergelenks), Teil B Nr 7.7 (Schluckstörungen) und Teil B Nr 5.3 (Tinnitus).

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 12.01.2016; Aktenzeichen B 9 SB 76/15 B)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 30. Dezember 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Neufeststellung des Grades der Behinderung (GdB) mit mindestens 70 und die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleiches “erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr„, also die Zuerkennung des Merkzeichens “G„.

Der 1957 in Syrien geborene Kläger lebte zwischenzeitlich im Libanon, wo er eine Lehre zum Schreiner absolvierte. 1985 reiste er in die Bundesrepublik Deutschland ein und ist mittlerweile deutscher Staatsangehöriger. Er ist verheiratet und Vater von fünf Kindern, wobei ein Sohn 2012 an einer Krebserkrankung verstarb. Mit Unterbrechungen arbeitete er bis 2002 in seinem erlernten Beruf. Danach konnte er diese Erwerbstätigkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben. Ab diesem Zeitpunkt bezog er Fürsorgeleistungen, seit 2005 in Form von Arbeitslosengeld II. Kurzzeitig war er in den Jahren 2006 und 2007 für etwa drei bis vier Monate als Hausmeister beschäftigt. Im Oktober 2009 zog er von Wiesbaden nach Karlsruhe um, wo zwei seiner Kinder leben. Dort bewohnt er mit seiner Ehefrau eine etwa 70 m² große Unterkunft, die sich im ersten Stock eines Hauses ohne Aufzug befindet, zur Miete.

Mit Bescheid vom 16. Februar 2010 stellte das Hessische Amt für Versorgung und Soziales Wiesbaden - Versorgungsamt - den GdB mit 50 ab 1. Juli 2009 fest. Dieser wurde während eines vor dem Sozialgericht (SG) Wiesbaden geführten Verfahrens zur Feststellung des GdB erlassen (Az. S 7 SB 144/08). In diesem Verfahren war auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Gutachten bei der Leitenden Ärztin an der V Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Gießen, der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie, Psychoanalyse Dr. Sch.-M., eingeholt worden, welches nach einer ambulanten Untersuchung des Klägers am 30. Juli 2009 erstattet worden war. Nach Auswertung des Gutachtens führte Dr. L. in ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 28. Dezember 2009 aus, die bei der neurologischen Untersuchung erhobenen Befunde seien, wie von Dr. Sch.-M. angegeben, von einer aggravierenden Darstellung der Beschwerden überlagert gewesen, so dass diese nur eingeschränkt aussagefähig seien. Auffällig sei auch, dass bei einer andernorts durchgeführten neurologischen Untersuchung durch Dr. G. Ende Mai 2009 zwar elektrophysiologisch durchaus ein Hinweis auf eine auch im Magnetresonanztomogramm (MRT) nachweisbare zervikale Spinalkanalstenose zu finden gewesen sei. Ein klinisch pathologischer Befund hierzu habe aber nicht sicher erhoben werden können. Insofern sei die Bewertung allein einer zervikalen Myelopathie mit einem GdB von 50, wie von der Gutachterin angenommen, sicher zu hoch gegriffen. Unter Berücksichtigung der beim Kläger vorliegenden Schmerzsymptomatik sei hingegen ab dem Zeitpunkt dieser gutachterlichen Untersuchung ein Gesamt-GdB von 50 gerechtfertigt. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Merkzeichens lägen demgegenüber nicht vor.

Am 5. März 2012 beantragte der Kläger die Neufeststellung des GdB sowie unter anderem die Zuerkennung des Merkzeichens “G„. Er wies auf Beschwerden im Wirbelsäulenbereich hin, insbesondere sei eine Spinalkanalstenose hinzugekommen. Ferner habe er chronische Schmerzen, insbesondere im Bereich d...

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