Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Wirtschaftlichkeitsprüfung. Festsetzung einer Beratung wegen Überschreitung des Richtgrößenvolumens. Geltung der zweijährigen Ausschlussfrist nach § 106 Abs 2 SGB 5 aF
Leitsatz (amtlich)
Die Ausschlussfrist des § 106 Abs 2 SGB V (in der vom 1.1.2008 bis 31.12.2016 geltenden Fassung) gilt nicht nur für die Festsetzung eines Regresses nach § 106 Abs 5a S 3 SGB V aF, sondern auch für die Festsetzung einer Beratung nach § 106 Abs 5a S 1 SGB V aF.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 27.06.2018 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst zu tragen haben.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 5.000 € endgültig festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtsmäßigkeit der Festsetzung einer schriftlichen Beratung wegen Überschreitung des Richtgrößenvolumens im Hinblick auf die Verordnung von Heilmitteln für das Jahr 2011.
Die Klägerin nimmt seit dem 29.03.1993 als F mit Sitz in L an der vertragsärztlichen Versorgung teil.
Die für die Durchführung von Wirtschaftlichkeitsprüfungen zuständige Prüfungsstelle stellte im Rahmen einer das Kalenderjahr 2011 betreffenden Auffälligkeitsprüfung mit Bescheid vom 12.03.2015 die Überschreitung des individuellen Richtgrößenvolumens im Bereich der Heilmittelverordnungsweise für das Jahr 2011 um mehr als 15 % fest und verfügte eine schriftliche Beratung gemäß § 106 Abs. 5a Satz 1 i.V.m. Abs. 1a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V).
Zur Begründung wurde ausgeführt, Grundlage sei die zwischen der Beigeladenen zu 1) und den Landesverbänden der Krankenkassen abgeschlossene Heilmittel-Richtgrößenvereinbarung 2011 vom 08.12.2010. Die Prüfungsstelle habe im Rahmen einer Vorabprüfung gemäß § 106 Abs. 5a Satz 1 SGB V ermittelt, dass das Verordnungsvolumen der Praxis der Klägerin im Kalenderjahr 2011 ihr individuelles Richtgrößenvolumen um mehr als 15 % überstiegen habe und aufgrund der vorliegenden Daten nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Überschreitung in vollem Umfang durch Praxisbesonderheiten begründet sei. Hierbei seien näher bezeichnete indikationsbezogene Verordnungskosten vorab als Praxisbesonderheiten berücksichtigt worden. Zusammenfassend ergebe sich folgendes Bild der Heilmittelausgaben im Vergleich zum Richtgrößenvolumen für das Jahr 2011:
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142.590,60 € |
Bruttoverordnungskosten |
./. |
8.579,80 € |
Filter 4 |
./. |
31.306,83 € |
Filter 5 |
./. |
1.197,66 € |
Filter 6a1 + 6a2 |
./. |
21.431,82 € |
Filter 6b1 - 6b9 |
./. |
275,07 € |
Sicherheitsaufschlag nicht zuordnungsfähige IS |
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79.799,42 € |
Bereinigte Verordnungskosten Arzt |
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67.776,30 € |
Richtgrößenvolumen |
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12.023,12 € |
Abweichung in Euro |
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17,74 % |
Abweichung in Prozent |
Aufgrund dieser Überschreitung des Richtgrößenvolumens von mehr als 15 % aber weniger als 25 % erfolge für das Jahr 2011 gemäß § 106 Abs. la SGB V eine Beratung in Form der als Anlage beiliegenden schriftlichen Information.
Gegen den Prüfbescheid legte die Klägerin am 26.03.2015 Widerspruch ein und trug zur Begründung im Wesentlichen vor, aus der Akte müsse hervorgehen, welche Verordnungen im Einzelnen beanstandet würden, da ansonsten eine Prüfung nicht möglich sei. Es sei nicht nachvollziehbar, dass 0,44 % der Rezepte unleserlich seien, gleiches gelte für den Abzug i.H.v. 275,07 €. Außerdem sei bei den Praxisbesonderheiten nicht im erforderlichen Maße die überdurchschnittliche Zahl der Altersheimpatienten berücksichtigt worden. Da Verjährung eingetreten sei, komme es hierauf aber letztlich nicht an.
Mit Widerspruchsbescheid vom 07.03.2016 (Beschluss vom 27.01.2016) wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Vorliegend greife die Ausschlussfrist von zwei Jahren nicht ein, da diese nur auf Verordnungsregresse Anwendung finde. Mit dem vorliegenden Prüfbescheid vom 12.03.2015 sei zwar die Entscheidung mehr als zwei Jahre nach dem Ende des Verordnungszeitraums 2011 erfolgt, es sei jedoch lediglich eine Beratung und kein Regress beschlossen und durchgeführt worden. Da es sich um eine Richtgrößenprüfung handle und nicht um eine Einzelfallprüfung müsse nicht im Einzelnen angegeben werden, was beanstandet worden sei. Von der Prüfungsstelle sei zudem zu Gunsten der Klägerin ein Sicherheitszuschlag von 0,44 % auf die Filter 4, 5, 6a und 6b gewährt worden. Diese Vorgehensweise sei nicht zu beanstanden und sei auch nachvollziehbar. Der Rentneranteil der Klägerin habe den Jahresdurchschnitt der Fachgruppe um -7,59 % unterschritten. Die Klägerin betreue ca. 30 Patienten pro Quartal in Altenheimen. Damit liege sie etwas über dem Durchschnitt der Fachgruppe, was jedoch aufgrund der weit überdurchschnittlichen Fallzahl der Praxis keine Praxisbesonderheit darstelle. Gemäß der Verordnungsstatistik für Heilmittel nach Richtgrößen habe die Kl...