Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. rückwirkende Aufhebung des Beitragsbescheides zu Ungunsten des Beitragspflichtigen. unrichtige Angaben im Lohnnachweis. fehlende Ermessensausübung. keine Heilung. Ermessenserwägungen im Schriftsatz
Orientierungssatz
1. Die rückwirkende Aufhebung eines bestandskräftigen Beitragsbescheides zu Ungunsten des Beitragspflichtigen gem § 168 Abs 2 SGB 7 idF vom 7.8.1996 bedarf einer Ermessensentscheidung.
2. Ein Ermessensnichtgebrauch kann nicht durch die bis zur Entscheidung des Senats eingegangenen Schriftsätze des Unfallversicherungsträgers gem § 41 Abs 1 Nr 2 iVm Abs 2 SGB 10 geheilt werden, da mit dieser Heilungsvorschrift lediglich unzureichende Begründungen eines ansonsten rechtsfehlerfrei ergangenen Verwaltungsaktes nachgeholt werden können, nicht aber erstmalig Ermessenserwägungen angestellt werden können, die einen als gebundenen Verwaltungsakt erlassenen Bescheid zu einer Ermessensentscheidung machen würden.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 20. Februar 2008 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Im Streit steht die Berechtigung der Beklagten zur rückwirkenden Aufhebung der Beitragsbescheide für die Jahre 2001 und 2003 bis 2005.
Die Klägerin betreibt ein Unternehmen zur Maschinenreinigung, das im März 1983 bei der Süddeutschen Eisen- und Stahl-Berufsgenossenschaft M, einer der Rechtsvorgängerinnen der Beklagten (künftig: die Beklagte) angemeldet wurde. Mit Bescheid vom 7. Juni 1983 wurde die Klägerin zur Beklagten aufgenommen und unter die Gefahrtarifstellen 2302 (Reinigung und Wartung von Maschinen und Anlagen), Gefahrklasse 4,7, und Gefahrtarifstelle 2901 (Kaufmännischer und verwaltender Teil), Gefahrklasse 0,7, veranlagt (ab 1. Januar 2001: Tarifstelle 1423, Gefahrklasse 61 bzw. bzw. 1929, Gefahrklasse 0,6; Bescheid vom 19. Dezember 2000).
Im Prüfbericht vom 15. November 2006 (Prüfzeitraum 2001 bis 2005) vermerkte der Prüfer der Beklagten, dass in den Jahren 2001 sowie 2003 bis 2005 die Entgelte der Reinigungskraft H und des Objektleiters P W G der falschen Tarifstelle zugeordnet gewesen seien, nämlich der Tarifstelle 1929.
Mit Bescheid vom 30. November 2006 teilte die Beklagte mit, die Klägerin habe für das Jahr 2003 einen Betrag von 1.677,18 € nachzuzahlen, mit weiterem Bescheid vom 30. November 2006 wurden für 2004 weitere 1.424,74 € verlangt, mit weiteren Bescheiden vom 30. November 2006 für 2005 2.033,11 € und für 2001 1.339,58 €. In den Bescheiden wird auf § 76 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) Bezug genommen und ausgeführt, dass Beiträge vollständig zu erheben seien und Gründe, die es rechtfertigen würden, von der Beitragsnacherhebung abzusehen, nicht ersichtlich seien.
Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch und führte aus, P W G sei als Objektleiter derselben Gefahrklasse zugeordnet worden wie die an den Maschinen arbeitenden Mitarbeiter. Er führe jedoch tatsächlich nur aufsichtsführende und verwaltende Tätigkeiten aus, akquiriere als Vertreter der Geschäftsleitung neue Aufträge, schließe diese ab und führe Preisverhandlungen durch.
Mit Widerspruchsbescheid vom 7. Februar 2007 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, in Tarifstelle 19 seien nur Arbeitsentgelte von Versicherten nachzuweisen, die ausschließlich verwaltende bzw. kaufmännische Tätigkeiten ausübten. Zu den Tätigkeiten von Herrn G gehöre neben der administrativen Organisation im Bürobereich auch die Aufsichtsführung vor Ort beim Kunden. Dazu habe Herr G einen Dienstwagen. Auch die Begutachtung und Überwachung der Arbeitsleistung vor Ort sei gefahrerhöhend und die Tätigkeit daher insgesamt nicht der Tarifstelle 19 zuzuordnen.
Dagegen hat die Klägerin am 8. März 2007 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die angefochtenen Bescheide litten an einem Begründungsmangel, denn erst im Widerspruchsbescheid sei überhaupt erkennbar, weshalb eine abweichende Beitragsberechnung durchgeführt werde. Darüber hinaus werde aber auch darin die Höhe der Beiträge nicht mitgeteilt. Nicht zuletzt dürfe nach § 168 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) der Beitragsbescheid nur dann mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden, wenn der Lohnnachweis unrichtige Angaben enthalte. Dies sei nicht der Fall. Denn die Tätigkeit von Herrn G stelle zu mehr als 90% reine Bürotätigkeit dar. Darüber hinaus sei § 168 Abs. 2 SGB VII eine Ermessensvorschrift, entsprechende Ausführungen fehlten aber im Ausgangs- wie im Widerspruchsbescheid. Die Beklagte hat erwidert, dass der Klägerin nach der Bekanntgabe der Prüfergebnisse noch im Betrieb klar gewesen sei, weshalb für die streitgegenständlichen Jahre Beiträge nacherhoben würden. Die Lohnnachweise hätten in der Tat unrichtige Angaben enthalten, da...